03 - Keiner wie Wir
wollte, als ihn bei sich zu haben.
* * *
J eden Nachmittag um vier hatten sie ihr Date.
Und auch sonst konnte Tina sich über mangelnde Beschäftigung nicht beklagen.
Neben ihrer Arbeit bekam sie neuerdings ausnehmend häufig Besuch. Jonathan und Edith schlugen in den ersten drei Wochen gleich fünfmal auf. Seltsamerweise immer zum Dinner, das sie vorsorglich gleich mal mitbrachten.
Beim dritten Mal platzte Tina der Kragen. Nachdem sie alles brav aufgegessen hatte, lehnte sie sich zurück und musterte ihre Schwiegereltern missmutig. »Habe ich bestanden oder gibt es Anlass, mich bei ihm anzuschwärzen?«
Edith lachte und Jonathan grinste, beide wirkten nicht im Geringsten verlegen, was an sich bereits ein starkes Stück war. Und Tina wurde einmal mehr bewusst, wie gut Daniel die Lage unter Kontrolle hatte, selbst wenn er gar nicht anwesend war.
Wie hatte Fran irgendwann einmal bemerkt?
Er glaubt, alles tanzt nach seiner Pfeife …
Die Realität fiel relativ ernüchternd aus. Er hatte allen Grund zu der Annahme, die tanzten nämlich wirklich, und zwar widerstandslos und ohne die geringsten Skrupel!
An keinem Abend war Tina allein.
Entweder Fran und Tom überredeten sie zu einem spontanen Kino-, Theater-, Bar- oder Clubbesuch, oder Carmen und Chris übernahmen diesen Job. Manchmal erschienen auch Carmen und Fran im Duett, hin und wieder Tom und Chris, ab und zu die Paare gemeinsam.
Vier Wochen später war Tina derart erschöpft, dass sie energisch auf einem freien Abend bestand. Also, sprich: ohne Animationsprogramm. Und als Tom todesmutig widersprechen wollte, war es endgültig um ihre Beherrschung geschehen.
Nachdem sie einmal tief Luft geholt hatte, brüllte sie so laut los, dass die Scheiben in den Fensterrahmen erzitterten. »Wenn ihr glaubt, ich lasse mich von euch bewachen wie eine Strafgefangene, dann habt ihr euch getäuscht! Ich bin ziemlich schockiert , dass ihr bei Daniels mieser Scharade mitspielt! An diesem verdammten Wochenende war ich arbeiten. In Atlanta! Ganz allein und ich lebe noch! Nein, kein Zufall! Weil ich nämlich seit etlichen Jahren bestens selbst auf mich achte! Bestellt ihm das!« Den letzten Satz überdachte sie trotz akuten Ausnahmezustandes und winkte ab. »Nein, das übernehme ich selbst, damit die Botschaft auch verständlich ankommt!«
Fran und Carmen grinsten, Chris nickte anerkennend und Tom hob entsetzt die Hände. »Ist ja gut!«, und kehrte ohne Übergang grinsend zu seiner üblichen Konstitution zurück. »Haha! Ich würde ja zu gern bei euren nächsten Gespräch Mäuschen spielen.«
»Würdest du nicht, versprochen!«, knurrte Tina.
Doch ihr Wutausbruch war schon fast vergessen. So war Daniel nun einmal. Dieser Mann würde niemals begreifen, dass sie das Kleinkindalter lange hinter sich gelassen hatte und keineswegs unaufhörlich darüber nachgrübelte, wie sie sich am besten das Leben nehmen konnte. Wie erklärte er sich eigentlich, dass sie so viele Jahre ohne ihn erfolgreich überlebt hatte? Das hätte Tina wirklich zu gern mal erfahren. Und wenn er so ausufernd in Sorge um sie gewesen war, wie er ihr ja ständig begreiflich machen wollte, weshalb hatte er denn nie nach ihr gesucht, he?
Tina seufzte …
Nein, es war nicht vergessen, das würde es auch nie. Denn immer häufiger suchten sie neuerdings wieder diese jämmerlichen Gedanken heim.
Was, wäre, wenn …
… er zu ihr gekommen wäre und ihr gesagt hätte, dass er sie liebte? Inzwischen glaubte sie ihm das nämlich.
Wie wäre ihr Leben verlaufen, wie viele Kinder hätten sie jetzt, wie glücklich wären sie in all den verlorenen Jahren gewesen und was hatten sie nicht alles verpasst und sinnlos verschenkt?
Längst wusste sie, dass sie ihm beinahe alles vergeben konnte, nur dieser eine Stachel würde wohl auf ewig in ihr wohnen.
Bevor sie Gefahr lief, sich anhaltend mit diesem Blödsinn zu befassen, fiel ihr glücklicherweise ein, dass es momentan andere, viel wichtigere Dinge zu überdenken gab.
Nachdem Daniel geflogen war, hatte Tina ihre regelmäßigen Besuche im Drugstore bei dem netten Mr. Parker eingestellt. Ein wenig verfrüht, wie sie jetzt wusste. Denn seit drei Wochen ahnte sie, hoffte seit einigen Tagen sogar und wollte sich endlich Gewissheit verschaffen.
Ein Vorteil, sein eigener Chef zu sein, lag darin, dass man nicht unbedingt die selbst festgelegten Bürozeiten einhalten musste. Und daher fuhr Tina am kommenden Morgen (nach einem äußerst entspannten Abend vor dem Fernseher)
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