03 Nightfall - Zeiten der Finsternis
keinen Störsender. »Tut mir aufrichtig leid.«
»Die Schlampe ist damit durchgekommen. Notwehr. Die Geschworenen haben ihr geglaubt.« Underwood schob ihre gefaltete Zeitung über den Tisch. Purcell schlug sie auf und las die Schlagzeile, die sich bereits in Underwoods Retina eingebrannt hatte:
»Auftragsmord: Valerie Underwood freigesprochen. Zweifache Mutter weint beim Urteilsspruch und dankt Geschworenen.«
Celeste Underwood kaute auf dem Hühnchen mit Limettensaft herum, das ihr allerdings nicht so recht schmecken wollte. Sie schluckte es mühsam hinunter.
»Praktisch, dass sich der Mann, den Valerie mit dem Mord an Ihrem Sohn beauftragt hat, in der Zelle erhängt hat«, meinte Purcell, »und zwar mit Schnürsenkeln, die er gar nicht hätte haben dürfen.«
Underwood legte ihr Besteck neben ihren Teller. »Genauso praktisch wie die Tatsache, dass er einen Abschiedsbrief hinterließ, in dem er erklärt, er hätte Valerie Stephens Mord in die Schuhe geschoben, weil sie ihn zurückgewiesen hat. Lässt sie wie die tugendhafteste aller Ehefrauen erscheinen.«
»Ja, wirklich praktisch«, stimmte Purcell zu. »Was ist mit Ihrem Antrag auf alleiniges Sorgerecht?«
»Abgewiesen.« Sie schob den Teller von sich, da ihr der Hunger endgültig vergangen war. Stattdessen nahm sie ihr Weinglas. »Valerie hat mir heute Vormittag eine Mail geschickt, in der sie mir mitteilte, ich würde die Mädchen nie wiedersehen. Diese Mädchen sind alles, was mir von Stephen geblieben ist, und das weiß sie.«
»Das tut mir so leid, Ma’am. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Eine Kellnerin trat zu ihnen und nahm Purcells Bestellung auf. Er orderte ein gegrilltes Käsesandwich und Eistee mit Zitrone.
Underwood nahm einen Schluck Wein. Es war der Hauswein, ein Zinfandel, der gut und nicht zu lieblich war. »Sie waren dabei, als Wells und Moore Prejean programmierten. Als sie sein Gedächtnis fragmentierten.«
»Ja, Ma’am. Zumindest fast immer.«
»Dann wissen Sie auch, wie Prejeans Programmierung funktioniert, oder? Wie man sie wieder auslöst?«
Purcells Augen leuchteten verstehend. »Ja, Ma’am. Sobald Sie den verdammten kleinen Psycho in Ihrer Gewalt haben, können wir den Schalter umlegen und ihn an die Arbeit schicken.«
»Können wir ihn danach auch wieder ausschalten? Für immer?«
»Ja.«
Underwood nickte. Dann trank sie einen weiteren Schluck Wein. »Gut. Ich mochte Vampire noch nie.« Sie bezweifelte, dass ihre sogenannte Schwiegertochter irgendetwas an Prejean praktisch oder angenehm finden würde, wenn er vor ihrer Tür stand oder durch eines ihrer Fenster stieg.
Nein, das würde sie sicher alles andere als praktisch finden.
14
WEISSE STILLE
Bei Damascus, Oregon, Happy-Beaver-Motel · 25. März
Der Duft von Blut verfolgte ihn, und das Gefühl eines schweren Verlusts lastete auf seiner Seele. Dante öffnete die Augen. Warme, tiefe Finsternis. Es mussten Decken sein, vielleicht sogar eine Kapuze. Leise, dringlich klingende Stimmen drangen an sein Ohr. Er musste sich bewegen, ehe sie versuchten, ihn in eine Zwangsjacke zu stecken und an den schimmernden Metallhaken zu hängen.
Ehe sie versuchten, ihm Chloe wegzunehmen.
Dante wand sich aus den Decken und rollte vom Bett. Er berührte mit einer nackten Schulter den Teppichboden, ehe es ihm gelang, auf die Beine zu kommen. Seine Füße waren ebenfalls nackt. Der Teppich war rau, und nirgendwo waren Beton oder Blut.
»Was zum Teufel …?«, sagte eine Frauenstimme. Nicht die Stimme dieser chienne Johanna, doch sie kam ihm bekannt vor.
Licht blendete ihn. Es bohrte sich wie ein langer Nagel in seinen Kopf und sein linkes Auge. Sein Sichtfeld teilte sich – wie ein zerbrochener Spiegel, dessen Hälften nicht mehr so ganz zusammenpassten.
Eine Gummizelle, blutbespritzte weiße Wände, das Wort OFFEN läuft in Grün über einen LED-Monitor neben einer Tür.
Jetzt fand er sich in einem unbekannten Zimmer wieder. Warmes Licht ging von einer Lampe auf einer kleinen Kommode aus. Daneben stand ein Plastiksessel, auf dem ein Mädchen mit blau-schwarz-violettem Haar saß und ihn aus großen Augen anstarrte. Sie klammerte sich nervös an die Armlehnen.
Dante lief es eiskalt den Rücken hinunter. »Wer ist sie?«, fragte er sich.
In beiden Hälften seiner zerbrochenen Wahrnehmung witterte er den durchdringend metallischen Geruch von Blut – Chloes Blut.
Ketten mit messerscharfen Gliedern schnürten immer tiefer in Dantes Herz. Mit einer zitternden Hand schützte er seine
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