03 - Schatten Krieger
wie ein Oberhäuptling der Mogaun, dachte sie. Ist er vielleicht auch ein Schamane? Dann richtete der Hüne seine Aufmerksamkeit auf einen der kleineren Mogaun, und der unangenehme Druck ließ nach.
»Was ist mit der grauen Wucherung?«
»Sie wächst immer noch, Herr«, erwiderte der Schamane. »Aber langsam.«
Sein Blick glitt zum Anführer des Hinterhalts. »Und der Elan meines Heerhaufens in Belkiol? Wie macht er sich? Sind die Flöße fertig?«
»Alles ist bereit, älterer Bruder. Sie erwarten begeistert Eure Ankunft.«
Der Oberhäuptling nickte. »Ich will zuerst die Wucherung sehen. Nehmt die da mit.«
Mittlerweile hatte man den vier Gefährten die Hände gebunden. Klayse und Jarryc wehrten sich und wurden von den Mogaun, die den Oberhäuptling begleitet hatten, mit wütenden Schlägen zur Ruhe gebracht. Ayoni schrie aus Angst um ihren Ehemann auf, doch der Bruder des Oberhäuptlings hielt ihr warnend den Säbel an die Kehle und brachte sie damit zum Schweigen. Von Entsetzen wie gelähmt und vollkommen hilflos wandte Ayoni ihr Gesicht von der Schwertspitze ab. Sie wurden grob auf die Pritsche eines geschlossenen Kutschwagens getrieben, auf den anschließend ein halbes Dutzend Stammesmitglieder stieg. Alle Mogaun waren mit Äxten und Streitkolben bewaffnet. Dann fuhr der Wagen durch die regnerische Dunkelheit davon. Seine Räder ratterten und holperten über die verfallenen Straßen.
Kurze Zeit später stieg die Straße etwas an, und der Wagen hielt. Ayoni vermutete, dass sie sich in der Nähe des alten Kaiserpalastes befanden. Laternen wurden entzündet, und die Gefangenen wurden in den Regen hinausgetrieben und durch die grasbewachsenen, dachlosen Reste eines einstmals beeindruckenden Eingangs geführt. Aus der Dunkelheit vor ihnen tauchten im Lichtkegel der Laternen plötzlich regendurchnässte Schutthaufen auf. Der Oberhäuptling ging voran, flankiert von einem der Schamanen, während der andere Ayoni und Chellour auf den Fersen blieb und das Ende der Netze festhielt, die sie banden. Ayoni war davon überzeugt, dass sie das Gelände des Palastes überquerten, aber wo genau sie waren, konnte sie nicht erkennen, bis sie durch einen kurzen, schmalen Gang zwischen zwei zerstörten Gebäuden kamen, an dessen Ende sie einen massiven Bogengang durchquerten und schließlich stehen blieben. Schweigend starrten sie auf das, was sich vor ihren Augen ausbreitete.
Als Ayoni und Chellour das tödliche Grau zum letzten Mal gesehen hatten, war der größte Teil des zerstörten Tagfrieds davon bedeckt gewesen. Jetzt war der Fried vollkommen verschwunden, und die Wucherung hatte sich auf den von Unkraut überwachsenen Innenhof ausgebreitet, bis zur Mauer des Palastes selbst. Es war nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt. Das wuchernde Grau schimmerte fahl, was ihm in der Dunkelheit das Aussehen einer aschfarbenen Schneedecke verlieh. Im Zentrum jedoch, an der Stelle, wo das Ritual durchgeführt worden war, war die Wucherung pechschwarz.
Zwei Lampen schwankten aus dem Dunkel von links auf sie zu. Sie beleuchteten eine kleine Gruppe von Mogaun, vermutlich Schamanen, deren hagere Körper mit Pelzen bedeckt waren.
»Ein Hoch dem Sohn des Krahel«, sagte einer, während sie sich vor dem Hünen verbeugten. »Sei gegrüßt, Masjig«, erwiderte der Mogaun-Oberhäuptling. »Meine Stimmen sprechen gut von dir.« »Wir dienen Euch mit Hand und Blut, Prinz, und halten uns an die alten Sitten.«
Der Oberhäuptling deutete auf die Wucherung. »Und, ist dies nun das Werk der Grauen Eminenz? Sollen wir es begrüßen, oder müssen wir es fürchten?«
Die Schamanen tauschten Blicke aus.
»Das entzieht sich noch unserem Verständnis. Wir können zwar sagen, was es tut, aber nicht, aus welchem Grund.«
»Dann zeigt mir, was es tut.«
Der Sprecher der Schamanen nickte und winkte einen der anderen heran. Der führte einen kleinen Hund an einer Leine. Der Sprecher hob ihn hoch, trat mit ihm bis auf einen Meter Entfernung an den Rand der Wucherung und schleuderte ihn hinein. Das Hündchen jaulte, als es landete, und strampelte heftig mit den Beinen. Doch bevor es zurücklaufen konnte, schlug eine graue Welle darüber hinweg. Ayoni wurde fast schlecht, als sie die Umrisse des kleinen Wesens unter der Wucherung kämpfen sah, bis die Bewegungen erlahmten. Danach befand sich nur noch das ebenmäßige Grau an der Stelle.
Der Oberhäuptling drehte sich herum, trat mit drei raschen Schritten neben Ayoni und schaute auf sie herab.
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