03 - Sinnliche Versuchung
zu.
»Es wird zu einem
Skandal kommen, nicht wahr?«
Der Schatten eines
Lächelns huschte über Sebastians Lippen.
»Wir sind
Sterlings, Jules. Das lässt sich wahrscheinlich nicht vermeiden. Aber wie du
weißt, haben wir bereits einen Skandal überlebt.«
Er wollte sie
trösten. Es war gut gemeint. Wie leicht war es, so etwas als Mann zu sagen.
Männer wurden nicht als alte Jungfern gebrandmarkt. Als Sitzengebliebene. Und
die alten Klatschbasen würden auch nicht hinter dem Fächer tuscheln, dass er an seinem Hochzeitstag verlassen wurde ...
Sie wollte weinen,
sich in Sebastians Arme werfen und ihren Schmerz herausschreien. Als Kind war
er derjenige gewesen, der sie bei kleinen Kümmernissen und Wehwehchen getröstet
hatte.
Aber diese
Verletzung konnte er nicht heilen.
Mit trockenen,
schmerzenden Augen blickte sie ihn an und biss die Lippen aufeinander, um gegen
die Tränen anzukämpfen. Er schaute sie lange forschend an. Ob er den Riss in
ihrem Herzen sehen konnte? Den Stachel in ihrer Seele? Sie versuchte tapfer zu
sein. Sie wollte tapfer sein. Sie wollte nicht weinen. Nicht jetzt. Nicht jetzt .
Das würde später
kommen.
Sebastian sprang
aus der Kutsche und reichte ihr eine Hand. Julianna nahm sie und stieg aus der
Kutsche. Als sie auf das Haus zuging, schienen sie die warmen Sonnenstrahlen
wie zum Spott zu küssen.
Alles war vorbei,
dachte sie voller Pein. Alles war vorbei ... ihre Hoffnungen, ihre Träume. Am
liebsten würde sie sich jetzt zusammenrollen und sich das Herz aus dem Leibe
weinen.
Das Geschehen an
diesem Tag hatte sie gedemütigt und für immer verändert.
Erstes Kapitel
Frühling 1818
Es war die
perfekte Nacht für einen Raubüberfall.
Im Schutz der
dichten Laubkrone einer alten Eiche beobachtete die Gestalt auf dem
Pferderücken zu später Stunde die Landstraße. Wolken verdeckten das silberne
Licht des Mondes. Die Nacht war pechschwarz wie der Schlund der Hölle. Ein
leichter Wind strich durch das Geäst und ließ eine klagende, einsame Weise
erklingen.
Für sein Vorhaben
konnten die Bedingungen nicht besser sein. Er würde unbemerkt bleiben, um den
geeigneten Augenblick abzupassen.
Er war ganz in Schwarz
gekleidet, vom Hut bis zu den Stiefelsohlen. Eine dunkle Maske verhüllte das
Gesicht bis auf die Augenschlitze. Wie angegossen saß er im Sattel seines
Pferdes Parzival. Der Reiter schien an stundenlange Ritte gewohnt zu sein.
Seine aufrechte, straffe Haltung zeigte keine Anzeichen von Ermüdung. Der
Körper war angespannt wie der eines Raubtiers, das sich nicht verraten durfte,
um im richtigen Moment zuzuschlagen.
Sonst wäre sein
Leben verwirkt.
Und der Mann, der
als Magpie, als die Elster, bekannt war, hatte nicht den Wunsch, vor seinen
Schöpfer zu treten.
Parzivals Ohren
stellten sich nach vorn. Die schwarz behandschuhten Finger zogen die Zügel an.
Die Schenkel pressten sich an den Pferdeleib und hielten das mächtige Tier
ruhig. Mit der Fingerspitze fuhr er über den Nacken des Pferdes. »Warte«,
ermahnte er Parzival.
Das Tier beruhigte
sich bei seiner Berührung, die angespannten Muskeln zeigten ihm jedoch, dass es
zum Sprung bereit war.
Mit
zusammengekniffenen Augen blickte der Reiter in die Dunkelheit Richtung Osten.
Dies war nicht die erste Nacht, in der er in der Maske der Elster unterwegs war
und es würde nicht die letzte sein. Nicht bis er sein Ziel erfolgreich erreicht
hatte.
Unter der schwarzen
Seidenmaske verzog sich der Mund zu einem feinen Lächeln. Das vertraute Gefühl
der Aufregung jagte durch das Blut. Der Herzschlag beschleunigte sich. Die
näher kommenden Hufschläge alarmierten Ross und Reiter. Der gelbe Schein einer
Laterne war aufgetaucht und tanzte auf und nieder.
Die Kutsche kam
näher.
Der Reiter wartete,
bis sie in Sichtweite war. Er war nicht der Mann, der Fehler beging.
Wie auf ein
Stichwort - der Teufel schien wirklich seine Hand im Spiel zu haben -
kam der Mond hinter der Wolke hervor. Die Elster gab die Zügel frei, brach aus
dem hüfthohen Gras am Straßenrand hervor und stellte sich der heranfahrenden
Kutsche in den Weg.
Als ihn der
Kutscher entdeckte, stand er vom Kutschbock auf und zog die Zügel an. Mit
rasselndem Geschirr kam das Gefährt auf das Kommando des Kutschers zum Stehen.
Ungerührt richtete
die Elster ein Pistolenpaar auf das Herz des Mannes.
»Stehen bleiben und
her damit.«
Einige Stunden zuvor
raffte Julianna ihre Röcke in die Höhe und rannte mehr hüpfend und springend im
Hof des Gasthauses über die
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