03 - Winnetou III
wohl, auf was oder wen er mit dieser Einleitung lossteuerte, nämlich auf meine Person, auf mich selbst. Als ich auch jetzt noch zögerte, eine Bemerkung zu machen, sprach er die direkte Frage aus:
„Will Old Shatterhand mir nicht antworten? Haben die Weißen nicht also an uns gehandelt?“
„Ja, ‚Eine Feder‘ hat recht“, gab ich zu.
„Sind sie nicht unsere Feinde?“
„Sie sind es.“
„Sollte es unter ihnen welche geben, die nicht so feindlich gesinnt sind wie die andern?“
„Es gibt welche.“
„Old Shatterhand mag mir einen nennen!“
„Ich könnte dir mehrere, ja viele Namen sagen, will aber darauf verzichten, denn wenn du die Augen öffnest, so siehst du einen von ihnen vor dir stehen.“
„Ich sehe nur Old Shatterhand!“
„Den meine ich.“
„So nennst du dich also einen Weißen, der nicht so feindlich gegen uns handelt wie die andern?“
„Nein.“
„Nicht?“ fragte er gedehnt und erstaunt, denn mein Nein machte ihn in seinem Konzept irre.
„Mein roter Bruder hat Worte gebraucht, die nicht das Richtige bezeichnen.“
„Welche Worte?“
„Daß ich nicht so feindlich handle wie die andern Weißen. Ich handle überhaupt nicht feindlich gegen die roten Männer.“
„Hast du nicht welche getötet oder verletzt?“
„Ja, aber nur dann, wenn sie mich dazu zwangen. Ich bin nicht etwa, wie deine Worte sagten, nicht ganz, sondern nur ein wenig Feind der Indianer; ich bin auch nicht weder Feind noch Freund von euch; sondern ich bin geradezu ein Freund, ein aufrichtiger Freund der roten Männer. Das habe ich sehr oft bewiesen. Wo ich nur immer konnte, habe ich den roten Männern gegen die Weißen beigestanden und sie gegen die Übergriffe der Bleichgesichter verteidigt. Wenn du gerecht sein willst, mußt du das zugeben.“
„Ich bin gerecht!“
„Denke an Winnetou! Wie sind wir Freunde, und wie sind wir Brüder gegen einander gewesen! War Winnetou nicht ein roter Mann?“
„Er war es, obgleich ein Feind von uns.“
„Er war nicht euer Feind, sondern ihr habt ihn euch zum Feind gemacht. Wie er seine Apachen liebte, so liebte er alle Indianer. Er trachtete danach, mit allen in Frieden zu leben; sie aber zogen es vor, sich untereinander zu zerfleischen und aufzureiben. Das war sein Kummer, sein Gram, der ihn niemals verlassen hat. Und wie er fühlte und dachte, so habe ich auch gefühlt und gedacht. Alle unsere Handlungen und unsere Taten sind der Liebe und der Teilnahme entflossen, die wir für die rote Nation hegten.“
Ich hatte ebenso langsam und feierlich gesprochen wie er. Als ich nun schwieg, senkte er den Kopf und saß so mehrere Minuten still; dann hob er ihn wieder und sagte:
„Old Shatterhand hat die Wahrheit gesprochen. ‚Eine Feder‘ ist gerecht und gibt das Gute selbst an seinen Feinden zu. Wären alle roten Männer so, wie Winnetou war, und folgten alle Bleichgesichter dem Beispiel, welches Old Shatterhand ihnen gibt, so würden die roten und die weißen Völker wie Brüder nebeneinander leben, sich lieben und einander helfen und die Erde hätte Raum für alle ihre Söhne und ihre Töchter. Aber es ist gefährlich, ein Beispiel zu geben, dem niemand folgen mag: Winnetou ist gestorben, indem ihn die Kugel eines Feindes traf, und Old Shatterhand geht dem Martertod entgegen.“
Jetzt hatte er das Gespräch auf dem Punkt, auf den er es hatte bringen wollen. Ich hielt es für geraten, ihm nicht entgegen zu kommen; darum schwieg ich. Er fuhr also fort:
„Old Shatterhand ist ein Held; er wird viele und große Qualen erdulden müssen. Wird er seinen Peinigern die Freude machen, ihn schwach zu sehen?“
„Nein. Wenn ich einmal sterben muß, so werde ich als ein Mann in den Tod gehen, dem man ein Grab der Ehren errichtet.“
„Wenn du sterben mußt? Hältst du deinen Tod für zweifelhaft?“
„Ja.“
„Du bist sehr aufrichtig!“
„Soll ich dich belügen?“
„Nein. Aber diese Wahrheit zu sagen, das ist außerordentlich kühn von dir!“
„Old Shatterhand ist niemals feig gewesen.“
„So hoffst du wohl auf Flucht?“
„Ja.“
Diese Offenheit war ihm noch viel erstaunlicher als die vorige.
„Uff, uff!“ stieß er hervor, indem er beide Hände erhob. „Du bist bis jetzt sehr nachsichtig behandelt worden; man wird dir größere Strenge zeigen müssen!“
„Ich fürchte keine Strenge; sie erschreckt mich nicht; ich bin vielmehr stolz darauf, dir die Wahrheit nicht verschwiegen zu haben. Dies hätte kein anderer getan.“
„Old
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