030 - Die zweite Realität
Entsetzt schüttelte Matt den Kopf, wich in die hinterste Ecke der Zelle zurück. »Das kann nicht sein! Was soll das, Smythe?«, brüllte er. »Haben Sie vor, mich in den Wahnsinn zu treiben? Die einen versuchen mir einzureden, dass ich alles nur geträumt habe, während Sie mir jetzt weiszumachen versuchen, dass alles real war…«
»Welcher Seite möchten Sie glauben, Commander?«; erkundigte sich Smythe mit hintergründigem Grinsen.
»Was wollen Sie?«
»Die Wahrheit«, erklärte Matt rundheraus. »Dann hören Sie auf mich, Matthew! Sirwig mag eine Kapazität auf seinem Gebiet sein, aber in diesem Fall ist er ein inkompetenter Idiot. Sie haben sich das alles nicht eingebildet, haben es nicht nur geträumt - kein Unterbewusstsein könnte sich eine komplexe Welt wie diese ausdenken! Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe es selbst gesehen. Die zerstörten Städte, das veränderte Klima, die Mutanten und Barbaren. Fa tun magare tefeesa, wissen Sie noch?«, fügte der Professor hinzu - und Matt zuckte abermals zusammen. Wie konnte Smythe den traditionellen Segensgruß der wandernden Völker kennen? Auch ihn hatte Matt niemandem gegenüber erwähnt. Es gab nur eine logische Antwort auf diese Frage - und sie war gleichermaßen bestürzend wie erlösend. Matt war nicht der Einzige, der sich an die andere Welt erinnerte. Auch Jacob Smythe war dort gewesen…
»Glauben Sie mir nun?«, erkundigte sich der Gelehrte und bedachte Matt mit auffordernden Blicken aus seinen großen blauen Augen. »Kommen Sie, Commander! Es ist äußerst wichtig, dass Sie mir vertrauen!«
»Ich… glaube Ihnen«, erklärte Matt zögernd. »Wenngleich ich noch nicht weiß, was ich von dieser Sache halten soll.«
»Dann hören Sie mir zu«, erwiderte Smythe. »Ich habe nur darauf gewartet, dass Sie aus dem Koma erwachen, um mich endlich mit Ihnen austauschen zu können. Noch vor ein paar Wochen ging es mir wie Ihnen - ich war mir nicht si- cher, ob ich vom Schicksal auserwählt bin oder ganz einfach den Verstand verliere. Erinnern Sie sich noch an den Absturz unseres Jets? Ich konnte mich damals mit dem Schleudersitz retten und fiel einer Bande von Nosfera in die Hände. Ich kann mich nicht mehr an viel erinnern - aber ich sah eine zerstörte Welt. Bizarre Wesen, wie unsere schlimmsten Albträume sie nicht auszumalen vermö- gen. Ich merkte, wie sich mein Verstand allmählich verwirrte. Was ich dann tat, weiß ich nicht mehr.«
»Ich schon«, versicherte Matt bitter in Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse, die sich in den Ruinen von Mailand abgespielt hatten.
»Ich schon…«
»Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich auf der Intensivstation eines Mailänder Krankenhauses aufgewacht bin«, berichtete Smythe weiter. »Zehn Wochen lang hatte ich im Koma gelegen und in dieser Zeit offenbar eine andere Welt besucht. Anfangs, Commander, erging es mir wie Ihnen - ich wusste nicht, ob ich mir das alles nur eingebildet hatte. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, dass es real gewesen sein musste, und ich begann Nachforschungen anzustellen. Ich entwickelte eine Theorie, der zufolge der Einschlag von ›Christopher- Floyd‹ eine Spaltung im Kontinuum von Raum und Zeit verursacht hat. Die Realität, wie wir sie kennen, wurde in zwei Wirklichkeiten aufgespalten - die zerstörte Welt, die wir beide gesehen haben, und die Zeit, in der wir uns jetzt in diesem Augenblick befinden. Das Jahr 2013, das Jahr nach der Verhinderung der großen Katastrophe. Und es ereignet sich wieder und wie- der!«
»Was soll das heißen?«
»Ich kann es Ihnen nicht anders erklären: Wir sitzen in einer Zeitschleife fest, Commander, einem Zyklus, der sich ständig wiederholt. Meine Berechnungen haben ergeben, dass der Riss in der Raumzeit, den der Komet verursacht hat, auch diese Anomalie bewirkt hat. Sie lässt uns das Jahr nach der Katastrophe wieder und wieder durchleben. Nach meinen Berechnungen befinden wir uns im fünfhundertvierten Zyklus. Alles hat sich schon fünfhundertvier Mal ereignet - ohne dass irgendjemand von den Menschen da draußen es bemerkt. Sie altern nicht, und sie erinnern sich nicht…«
»Fünfhundertvier Jahre«, entfuhr es Matt atemlos, während ihn eine Gänsehaut befiel.
»So weit wurde ich in die Zukunft geschleudert!«
»Genau wie ich.« Smythe keuchte vor Aufregung, holte tief Luft. »Lange Zeit war ich im Ungewissen über meine Theorie, wartete darauf, dass Sie aus dem Koma
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