030 - Die zweite Realität
Gesicht des Besuchers fiel. Es war Professor Dr. Jacob Smythe. Matt hatte Smythe eine ganze Weile nicht mehr gesehen - und hätte nicht sagen können, dass er traurig darüber war. Smythe war sein Copilot auf der »Christopher- Floyd«-Mission gewesen - ein arroganter, karriereorientierter Sack, dem seine wissenschaftliche Reputation über alles ging. Auch in der »anderen Welt« war Matt Smythe begegnet - der Professor hatte wie er den Absturz überlebt und sich mit dem Schleudersitz retten können. In Mailand waren sie erneut aufeinander getroffen. Smythe hatte sich zum Oberhaupt einer Horde blutdurstiger Nosfera- Mutanten aufgeschwungen und führte grässliche Experimente mit ihnen durch. Bis er sich selbst, von Matt und Aruula in die Enge getrieben, in eine Monstergrube stürzte.*
»Drüben« war Smythe lange tot. Doch in dieser Welt stand er gesund und munter vor ihm in seiner Zelle - zu munter für Matts Geschmack. »Guten Tag, Commander Drax«, grüßte der Professor ölig - und allein der Klang seiner Stimme genügte, um in Matt eine ganze Welle negativer Empfindungen auszulösen. Betroffen blickte er in das knochige Gesicht mit der platten Nase, auf der eine Brille mit großen Gläsern thronte. Smythe trug sein Haar noch immer lang und zu einem Pferdeschwanz gebunden - unangenehm wenig hatte sich seit ihrer letzten Begegnung verändert.
»Hallo, Smythe«, erwiderte Matt den Gruß des Gelehrten. Seine Wiedersehensfreude hielt sich in Grenzen. »Sie gestatten, dass ich eintrete?«
»Ich kann Sie wohl nicht daran hindern.« Smythe nickte und betrat die Zelle, gefolgt von zwei Finstermännern in schwarzen Anzügen. Trotz der gedämpften Beleuchtung, die in der Zelle herrschte, trugen die beiden verspiegelte Sonnenbrillen. Geheimdienst, dachte Matt missmutig bei sich. »Commander Drax«, begann Smythe, »ich erwarte nicht, dass Sie mit Freude an unsere letzte Begegnung zurückdenken - sicherlich verbinden Sie einige unangenehme Gefühle damit.«
»Allerdings«, konterte Matt. »Sie ahnen gar nicht, wie unangenehm…«
»Nichtsdestotrotz habe ich mich entschieden, Sie aufzusuchen, Commander. Ich glaube nämlich, dass es etwas gibt, das wir beide gemeinsam haben.«
»Wir beide?« Matt lachte freudlos auf. »Wir spielen nicht in derselben Liga, Smythe. Wir atmen nicht mal die gleiche Luft. Ich denke nicht, dass…«
»Commander! Ich bin nicht hierher gekommen, um mich mit Ihnen zu streiten. Ich bin nicht Ihr Feind, das sollten sie akzeptieren.«
»Es fällt mir schwer«, gestand Matt - obwohl er sich eingestehen musste, dass sich Smythe irgendwie verändert hatte. Natürlich - der Professor war noch immer der gleiche arrogante, rechthaberische Hundesohn, als den er ihn in Erinnerung hatte. Doch seine aufbrausende Art schien der Gelehrte abgelegt zu haben. Ganz offenbar war er auf Zusammenarbeit aus - und das genügte, um Matt noch misstrauischer werden zu lassen… »Ich weiß, dass Sie mir nicht trauen, Commander«, meinte Smythe, als wären Matts Gedanken für ihn ein offenes Buch. »Aber wir sollten unsere Differenzen vergessen. Es gibt weitaus wichtigere Dinge zu bereden.«
»Es waren nicht nur Differenzen, Smythe«, brachte Matt in Erinnerung.
»Sie und mich trennen Welten.«
»Mag sein, dass das einmal so war - aber nun haben wir etwas gemeinsam, sind Verbündete geworden.«
»Und was sollte das sein?« Matt hob müde die Brauen. »Die Kenntnis von einer Welt, die nicht wie die unsrige ist. In der es bizarre Kreaturen gibt, Nomaden Völker, Nord- männer, die marodierend durch die Lande ziehen. Eine Welt, die aus den Fugen geraten ist, zerstört durch ein Ereignis namens Kristofluu…«
»Woher… ?«
Kalte Schauer durchrieselten Matt, als Smythe den Namen erwähnte. Kristofluu - so hatten die wan- dernden Völker den Kometen Christopher-Floyd genannt, der ihre Welt erschaffen hatte. Und auch den Begriff »Nordmänner« hatte er Sirwig gegenüber nie erwähnt, sondern des besseren Verständnisses wegen den Begriff »Wikinger« verwendet. »Sind Sie überrascht, Commander?« In Smythes Augen blitzte es, während die beiden Kleiderständer keine Regung zeigten. »Ja, Commander Drax, ich weiß, wo Sie waren! Ich weiß, wo Sie die letzten Monate Ihres Lebens verbracht haben! In einer Welt, die jenseits unseres Begreifens liegt, fünfhundertvier Jahre in der Zukunft. Und ich weiß es deshalb so genau, weil ich ebenfalls dort war! Ich habe diese andere Welt mit eigenen Augen gesehen!«
»Nein!«
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