0309 - Die Eismeer-Hexe
wir überflogen bald den Wald.
Aus der Höhe hatten wir einen völlig anderen Blickwinkel bekommen.
Wir sahen wieder eine herrliche, schweigende Bergwelt, eingepackt in die Zuckerwatte aus Schnee.
Im Schlagschatten einer hohen grauen Felswand stand das Hotel.
Es war modern eingerichtet. Luxus und Komfort wurden den Gästen geboten. Ein Paradies für Wintersportler. Seilbahnen und Skilifte führten tagsüber die Hänge hinauf zu den Gipfeln.
Die letzten Läufer jagten noch die Hänge hinunter. Jetzt fuhr keine Seilbahn mehr hinauf, denn bei Dunkelheit war es auf den Pisten zu gefährlich.
Wir landeten dort, wo sich das große Landekreuz im Schnee abzeichnete und auch der Maschinenpark des Hotels stand.
Der Pilot setzte den Copter sicher auf.
»Warten Sie noch«, sagte er zu uns, als er sich losschnallte. »Ich hole den Direktor.« Er lächelte schief und nahm seinen Kopfhörer ab. »Sie wissen ja. Leichen sind für ein Hotel nicht gerade das beste Renommee.«
Da hatte er recht. Es war niemand eingeweiht. Für die Manager des Hotels waren wir normale Touristen.
Man hatte den Kasten in die schweigende Bergwelt gesetzt. Mir persönlich gefiel es nicht, denn ich wollte die Natur so lassen, wie sie war. Da brauchte ich nur an das schlichte Beispiel der Alpen zu denken, wie der Mensch durch unverantwortliche Bauweise und Spekulation in den Kreislauf der Natur eingegriffen hatte. Hoffentlich wurden die Rockies vor einem ähnlichen Schicksal verschont.
Wir hatten einen zur Realität gewordenen Alptraum erlebt. Eine Legende war Wirklichkeit geworden. Die Natur wehrte sich auf gewisse Art und Weise. Und irgendwie konnte ich Rakina sogar verstehen, auch wenn ich deren Methoden nicht billigen durfte.
Wir waren ebenfalls ausgestiegen und warteten vor der Maschine.
»Weißt du, worauf ich mich freue, John?«
»Ja, auf eine heiße Dusche.«
»Richtig.«
»Und dann?«
»Werden wir bleiben«, erklärte ich.
Suko zog die Nase hoch. »Das wollte ich auch sagen. Nur was wird Rakina unternehmen?«
Ich hob die Schultern. Wohl war mir nicht, wenn ich an sie und ihre deutlichen Warnungen dachte. Meine Gedanken wurden abgelenkt, denn der Pilot kam zurück. In seiner Begleitung befanden sich der Hotelmanager und zwei Hausdiener. Schon an dem blassen Gesicht des Direktors erkannte ich, wie peinlich ihm die Sache war. Man durfte hier alles, man bekam alles, nur sollte das Hotel keinen Schaden erleiden.
Der Ruf ging schließlich vor.
Noch ahnten wir nicht, daß die letzten Vorfälle erst der Beginn eines grausamen Spiels gewesen waren…
***
Auch Jane Collins hatte nichts vergessen. Sie stand vor dem Spiegel und tat das, was sie schon lange nicht mehr gemacht hatte. Mit dem Stift fuhr sie über ihre Lippen und legte ein zartes Makeup auf. Die Wangen hatten bereits etwas Rouge bekommen. Lidschatten waren auch schon vorhanden, und nichts unterschied Jane Collins eigentlich von einer völlig normalen Frau.
Doch sie war eine Hexe!
Das durfte nie vergessen werden. Und sie war bereit, alles einzusetzen, um den Zustand zu erhalten. Sie hatte das Testament an sich genommen, sie wußte von einem Planeten der Magier, und sie wußte ferner, daß der Weg zu ihm nur über die Eismeer-Hexe Rakina führen konnte.
Sie und Jane Collins standen auf verschiedenen Seiten. Dies konnte und mußte man als Tatsache akzeptieren. Aber Jane dachte praktischer.
Vielleicht gelang es ihr, Rakina dazu zu überreden, daß sie sich ihr anschloß. Dämonen reagieren oft positiv auf gewisse Versprechen. Jane hoffte, daß die Eismeer-Hexe da keine Ausnahme machte.
Noch einmal betrachtete sie sich prüfend im Spiegel und war mit ihrem Aussehen zufrieden. Ja, so konnte sie bleiben. Sie wollte das Dinner einnehmen und sich anschließend an das nochmalige Studium des Testaments begeben. Am nächsten Tage hatte sie dann vor, gewisse Außenarbeiten zu erledigen, wie sie es nannte.
Vor allen Dingen mußte sie den Platz finden, wo die Steine gelegen hatten. Zu Fuß war es schlecht, aber man konnte sich einen Hubschrauber nebst Piloten mieten. Er würde sie zu dem Ort bringen.
Jane war praktisch und winterlich gekleidet. Zu dem Rollkragen-Pullover trug sie einen Cordrock. Ihre Füße verschwanden in weichen Stiefeln, und das blonde Haar fiel bis auf die Schultern.
Mit sich zufrieden verließ sie das Zimmer.
Vorsorglich hatte sie das Testament mitgenommen. Die dünnen Seiten steckten zwischen Gürtel und Pullover und waren auf den ersten Blick nicht zu
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