0315 - Wenn der Totenvogel schreit
hörte das Klappern der Knochen, sah, wie es zurückfiel, und auch die Polsterung des Sargs den Vorgang nicht aufhielt.
Die Knochen fielen auseinander. In einem Wirrwarr blieben sie liegen.
Ich drehte mich.
Der Baron war tot. Jetzt stand mir die Aufgabe bevor, den unheimlichen Höllenvogel zu vernichten.
Der Satan leitete ihn. Die Gesetze der Hölle standen im direkten Gegensatz zu denen des Kreuzes.
Damit würde ich ihn vernichten. Nur war er verschwunden!
Ich hatte nicht bemerkt, daß er weggeflogen war. Dieses mußte völlig lautlos geschehen sein. Ich stand da, bekam große Augen, schluckte ein paarmal und wusste nicht, was ich unternehmen sollte.
Ein leerer Baum, der in einem Keller wuchs und dessen Astwerk sich veränderte. Es war bei einem Höllendiener, der mit der Macht des Kreuzes oder der Weißen Magie konfrontiert wurde.
Auch der Baum verging.
Grau und unansehnlich wurden seine Äste. Sie zogen sich dabei zusammen, erinnerten mich an dicke Würmer, bevor sie austrockneten und vom Stamm fielen.
Auf dem Boden wurden sie zerstört. Zurück blieb grauer Staub, der mich an einen Teppich erinnerte.
Auch der Stamm riss. Er spaltete sich in zwei Teile, als hätte eine unsichtbare Axt zugeschlagen.
Ich verstand die Welt nicht mehr. Aber mir war klargeworden, welch eine Macht dieser Höllenvogel hatte. Sicherlich lauerte er irgendwo im Verborgenen, um mich heimtückisch aus dem Hinterhalt anzugreifen.
Dann hörte ich das Heulen.
Ich hatte dieses Geräusch bei Werwölfen und normalen Wölfen vernommen. Keines jedoch erreichte die Lautstärke und den Tonfall dieses Höllenvogels.
Er schrie mörderisch.
Ein Ton, der nicht zu definieren war. Eine Mischung aus Heulen, Schreien und Kreischen.
Gleichzeitig schickte er seine tödlichen Boten.
Es waren die schwarzen Schwingen, die unheimlichen Schatten des Todes. Und ich erinnerte mich an die Worte, die über den Totenvogel gesprochen wurden.
Wer seinen Schrei hört, ist verloren.
War auch ich es?
Die Schatten wanderten näher, und sie waren verflucht schnell. Ich merkte, wie sie der Luft den Sauerstoff entrissen und gleichzeitig eine Hitze ausstrahlten, die reich zu verbrennen drohte.
Ich musste mich wehren. Zögerte ich noch länger, würde ich ersticken oder innerlich vom Höllenfeuer verzehrt werden, wie es auch mit dem Baron geschehen war.
Deshalb aktivierte ich mein Kreuz. Durch die Formel hoffte ich es, den Totenvogel zurück in die Hölle zu schleudern.
»Terra pestem teneto – Salus hic maneto!«
So schrie ich den ankommenden Schatten mit fast überschlagender Stimme die Worte entgegen.
Und ich sah einen Erfolg.
Nicht allein das Kreuz strahlte in einem nahezu überirdischen Glanz auf, es drängte auch die Schatten zurück. Eine Lichtfülle breitete sich innerhalb des Kellers aus. Es wurde taghell, die Dunkelheit verschwand völlig, so dass ich freie Sicht bekam.
Ich schaute in einen langen Lichttunnel. Masse und Grenzen waren aufgehoben worden. Der Tunnel aus Licht überbrückte Dimensionen, und ganz an seinem Ende sah ich den Vogel.
Er taumelte.
Ein monströses Etwas aus Kopf, Körper, Schnabel und pechschwarzem Gefieder.
Und hinter ihm sah ich noch etwas, einen alten Bekannten nämlich. Den Teufel!
Seine Fratze leuchtete in einem blutigen Rot, in das die schwarzen Schatten des Höllenvogels hineinfielen und aufgesaugt wurden.
Nein, vernichtet hatte ich ihn nicht. Irgendwo hatte der Satan dank seiner höllischen Kraft eine Grenze gezogen, die auch mein Kreuz nicht hatte überwinden können. Es musste die Grenze gewesen sein, die sich fast am Beginn der Welten gebildet hatte.
Das Licht verschwand. Es wurde von meinem kleinen Kreuz geschluckt, und die Dunkelheit nahm wieder zu.
Ich stand in einem normalen Keller. Das Böse war vertrieben worden. Zurück blieb ein Sarg mit den Knochen eines Skeletts…
***
Auch die zweite Schrotladung jagte in den Krähenschwarm. Sie fegte ihn auseinander, und abermals wurden zahlreiche Tiere getroffen, aber längst nicht alle, und diejenigen, die zurückblieben, für die würde es ein Leichtes sein, die Menschen zu töten.
Das wusste auch Lady Sarah, und sie ließ die Schrotflinte sinken.
Sie schaute auf ihre beiden Schützlinge. Dicht beieinander standen sie. Die Frau hatte ihr Gesicht gegen die Schulter des Mannes gepresst. Sie konnte einfach nicht mehr.
Noch immer regnete es Federn, und Lady Sarah wollte nach Patronen fragen, als Harry Finley den Kopf schüttelte.
»Ich habe keine
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