0317 - Der Seelenschmied
Arere mit ansehen mußte, wie frevelnde Hände das Heiligtum entweihten, das er Zeit seines Lebens gehütet hatte, bemühten sich die Piraten, mit Stricken die goldene Statue abzutransportieren.
Der Hochpriester spürte, wie die Schwärze des Todes auf ihn zuraste. Mit letzter Kraft schob er sich zu dem kleinen Felsvorsprung, wo er immer die Gläubigen erwartete. Seine Hand berührte den Fetisch des Nomuka, den er an einer Schnur um den Hals trug.
Und seine Lippen flüsterten, bevor sie für immer geschlossen wurden, die Worte, die Nomukas Hilfe erflehten. Denn als Arere die Toten sah, hatte er schon einen Plan gefaßt.
Nur noch ein Mann von den Inseln mußte sterben, damit Nomuka den Zauber wirksam werden lassen konnte.
Die Seelen der Piraten würden die Männer der Insel neu beleben.
Und ihn selbst ebenfalls.
Immer wieder riefen seine Lippen den Dämon von Tahiti an.
»… alle, die meine Statue mit ihren Händen entweihen, werden ihre Seelen verlieren!« vernahm er in seinem Inneren die Stimme des Dämons. »Sieh nur hin!«
Mit brechenden Augen erkannte Arere, daß Männer, die eben noch versuchten, Seile um die goldene Statue zu legen, plötzlich wie Betrunkene zu schwanken begannen und ziellos durch die Höhle stolperten.
Und mit jedem Piraten, der so seine Seele verlor, erwachte am Strand einer der Eingeborenen und reckte sich empor. Seine Wunden waren verbunden und er fühlte, daß er dem Leben zurückgegeben war.
Arere versank in die Schwärze des Todes – doch wurde er im gleichen Augenblick zurückgerissen, als Nomuka die Seele eines der Piraten in seinen Körper fließen ließ. So schnell er konnte, erhob sich der Hochpriester und verließ die Höhle, um zum Strand zu eilen.
Mit wenigen Worten hatte er den Männern dort das schaurige Geschehen erklärt.
Von Furcht geschüttelt, luden die Männer ihre Verwundeten in die Boote. Auch Arere schloß sich ihnen an. Die Frevler, die den goldenen Götzen stehlen wollten, waren nun dazu verdammt, ihn zu bewachen.
Die Insel Manaua-Naua wurde von den Bewohnern aller Inseln von Tahiti zum Tabu erklärt. Nicht einmal in den reichen Sagen und dem Legendenschatz der Südsee fand die Geschichte vom Fluch des goldenen Götzen Einzug.
Anderen weißen Männern verschwieg man die Insel, und auch aus dem Gedächtnis der Eingeborenen verschwand sie, als sich im Jahre 1812 das Christentum endgültig auf den Inseln von Tahiti durchgesetzt hatte.
Kein Mensch dachte mehr an den Schwarzen Garfield und seine Piraten, die immer noch ohne Seelen in der Höhle von Manaua-Naua existierten. Sie waren ohne Seelen und konnten daher nicht vom Tode dahingerafft werden.
Sie lebten, obwohl sie weder aßen noch tranken. Es wuchs weder das Haupthaar noch die Nägel. Auch ihre Körper alterten nicht. Nur ihre Kleidung zeigte Anzeichen des Zerfalls, und die »Sea-Falcon«, obwohl immer noch seetüchtig und schwimmfähig, wurde von silberweißem Schimmer überzogen. Auf den Kanonen aus Messing bildete sich dicker Grünspan. Rostflecke verunzierten die Säbel und die Läufe der Flinten.
Die Piraten lebten nicht – aber sie existierten – von allen vergessen – bis sich Nomuka, der Dämon von Tahiti, an sie erinnerte…
***
Die Helligkeit des Tages und die strahlende Sonne vertrieben die trüben Gedanken Professor Zamorras. Er schwamm mit Nicole einige Runden im Pool des Schiffes, spielte mit Sabine Janner einige Runden Tischtennis, machte ohne besonderen Erfolg beim Tontaubenschießen mit und zog sich nach dem Mittagessen mit Nicole Duval zu einem ausgiebigen Mittagsschläfchen zurück. Er wollte fit sein für das Captains-Dinner, das am heutigen Abend den glanzvollen, gesellschaftlichen Höhepunkt der Fahrt bildete. Auch Michael Ullich und Carsten Möbius hatten sich mit den Mädchen zurückgezogen. Allerdings hatte Zamorra bemerkt, daß Carsten Möbius Dagmar Holler zu ihrer Einzelkabine begleitete und sich da von ihr verabschiedete. Das einzige, was darauf hindeutete, daß er etwas für das Girl empfand, war ein auf die Wange gehauchter Kuß.
»Wie in einer langweiligen Oper!« murrte Nicole Duval, als Zamorra beiläufig darüber redete. »Wie viele Schicksalserien benötigt unser Held denn noch, um seine schöne Angebetete endgültig zu umarmen!«
»Gut Ding will Weile haben!« lachte Professor Zamorra. »Erinnerst du dich nicht mehr, wie es damals bei uns war? Die gleichen Verhältnisse. Du warst meine Sekretärin. Und heut…!«
»… bin ich deine Schreibsklavin!«
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