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abgegeben hatte, ergab für Carys einen Sinn. Seine Entschlossenheit, Orin zu vernichten, hatte nichts „Wahnwitziges" an sich. Sie wurde nur von Loyalität bestimmt, und das konnte Carys begreifen, und Eigennutz, der auch sie bewogen hatte, in Marston ihr Leben für Telor und Deri zu riskieren. Das von ihr aufgebrachte Verständnis machte die Möglichkeit, sie könne Telor verlieren, jedoch nicht weniger erschreckend, bis sie irgendwann, zwischen dem Höhepunkt und Telors geduldig und leidenschaftlich gespendetem Trost, auch verstandesmäßig mit sich ins Reine kam.
Plötzlich erkannte sie, dass sie alles verdreht hatte, und schaute lächelnd in Telors sie ängstlich ansehende Augen. Die Tatsachen, Morgan verloren zu haben und mit Ulric tief gesunken zu sein, waren nicht Strafen gewesen, die einander folgten, sondern Schläge, die ihre Ketten zerbrochen und Lehren erteilt hatten, ohne die Caiys nie in Telors Leben gepasst hätte. Was für eine Närrin sie war! Alles, was ihr widerfahren war, hatte dazu gedient, ihr und Telors Leben miteinander zu verweben.
Sie hörte Telor sie etwas fragen, schüttelte jedoch den Kopf, da sie nicht fähig war, ihm zu antworten, denn ihr war jäh die Erkenntnis gekommen, dass sie, wäre sie bei Faux's Hill nicht bedroht worden, dort geblieben und Telor nie begegnet wäre. Falls Joris und seine Männer nicht zu stehlen versucht hätten, hätte sie sich ihnen vielleicht angeschlossen. Falls Telor, Deri und sie nicht von Gesetzlosen überfallen worden wären, hätte man sich vielleicht in Marston befunden, ehe Orin das Herrenhaus eingenommen hatte, und wäre dann mit all den anderen Leuten getötet worden. Und falls Orin Eurion nicht getötet und Telor eingesperrt hätte, würde sie vielleicht nie von ihm gehört haben, dass es ihn nach ihr verlangte. Die Liebe Frau war sehr gut zu ihr gewesen. Sie durfte nicht mehr an ihr zweifeln. Die Herausforderung, vor der Telor stand, war bestimmt nur ein weiterer Teil des Musters, das die Liebe Frau webte, und die Liebe Frau würde sie jetzt nicht im Stich lassen.
Im nächsten Augenblick kam es ihr so vor, als würde sie länger leben, um der Lieben Frau gehorchen zu können, denn sie wurde sich bewusst, dass sie von Telor, der rief:
„Caiys! Caiys! In Gottes Namen, rede mit mir!", beinahe erdrückt und erstickt wurde.
Sie brachte es fertig, unzusammenhängende, keuchende Laute von sich zu geben, die jedoch genügten, damit Telor sie losließ und sie anschaute. Sie lachte und fragte:
„Wie kann ich etwas sagen, wenn ich den Mund voll von deinem Brusthaar habe?"
Telor gab einen Seufzer der Erleichterung von sich. „Du hast mich zu Tode erschreckt, Mädchen. Ich weiß, manche Frauen weinen nach dem Beischlaf, aber ich habe nie eine gesehen, die beim Weinen ein solches Gesicht macht wie du. Und als du zu weinen aufhörtest und mich anlächeltest und ich dich fragte, ob mit dir alles in Ordnung sei, hast du die Augen verdreht . . . Ich dachte, du würdest sterben."
„Die Liebe Frau hat zu mir gesprochen", erwiderte Ca-rys. Ihre Augen waren weit aufgerissen und leuchteten. Dann lachte sie über Telors Gesichtsausdruck. „Nein, ich bin nicht verrückt. Ich habe keine Stimme gehört und keine Vision gehabt, aber plötzlich ergaben all die verrückten Dinge, die mir passiert sind, einen Sinn. Ich weiß, du begibst dich in große Gefahr, und möglicherweise muss ich dir folgen ..."
„Oh, nein!" schrie Telor. „Dieses Mal nicht."
Carys schüttelte den Kopf. „Ich kenne meine Rolle noch nicht, und daher hat es keinen Sinn, mich anzubrüllen. Alles, was ich weiß, ist, dass ich die Augen und die Ohren aufsperren muss, um mein Stichwort nicht zu verpassen. Das ist der Wille der Lieben Frau, Telor, und ein Teil der ganzen Sache, wie bei einem Theaterstück, nur dass die Sache Wirklichkeit ist. Und nur, wenn wir alle unsere Rollen gut spielen, können wir, dem Willen der Lieben Frau zufolge, lebend, wohlgemut und glücklich aus der Sache kommen."
„So Gott will", stimmte Telor zu.
„Und die Liebe Frau, aber sie ist gnädig."
Wenngleich er mit keinem Wort zu der Behauptung, die Carys über die göttliche Vorsehung geäußert hatte, Stellung nahm, war er von dem, was sie gesagt hatte, überhaupt nicht überzeugt. Dennoch wurde er sich, nachdem sie über die Abfolge der Ereignisse, so wie sie sie sah, gesprochen hatte, einer bemerkenswerten Verbesserung seiner Stimmung bewusst. Er machte keine Anstalten, dieses Gefühl zu unterdrücken,
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