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032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin
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obwohl er irgendwie den unbehaglichen Gedanken hatte, dass Carys nicht von der Jungfrau Maria gesprochen hatte. Doch das war Unsinn, denn sie konnte keinen anderen Glauben als den haben, der von der Heiligen Mutter Kirche gelehrt wurde. Außerdem war die Heilige Jungfrau Maria sowohl gnädig als auch barmherzig. Trotzdem fragte er Carys nicht, wen sie gemeint hatte. Er wollte es nicht wissen. Es genügte ihm, dass sowohl sie als auch er sich lachend statt weinend vom Lager erhoben, zum Ausgleich für die früheren kargen Essen mit ausgezeichnetem Appetit ein umfangreiches und geschmackvolles Abendessen zu sich nahmen und dann, wieder auf das Lager zurückgekehrt, bis weit in die Nacht leidenschaftliche Spiele trieben. Und Carys weinte kein einziges Mal.

18. KAPITEL
    Am nächsten Tag, nachdem Telor fortgegangen war, um Lord William mit seinen Balladen Gefallen zu bereiten, war Caxys ängstlicher, doch es handelte sich um eine andere Art von Angst, eine Art angespannten, aber sehnsüchtigen Wartens statt hysterischer Furcht. Telor wusste nicht, was ihn mehr beunruhigte, da er sich vorstellen konnte, dass Carys „ihren Ruf hörte" und sich in allerlei Schwierigkeiten brachte. Alles, was er jedoch hatte tun können, war, sie zu warnen, sich irgendwelche Sachen einzubilden, und ihr das Versprechen abzunehmen, auf Deri zu warten, ehe sie beschloss, etwas zu tun, das sie nicht vorher mit ihm besprochen hatte. Sie war so schnell einverstanden gewesen, dass er überhaupt nicht beruhigt war, doch er hatte nicht gewagt, sie in Lord Williams Unterkunft mitzunehmen. Was er getan hatte, war, sie dadurch abzulenken, dass er ihr Geld anbot und sie drängte, sich neue Sachen zu kaufen, und als sie eingewandt hatte, er habe ihr bereits genug gegeben, hatte er gelacht und gemeint, dass sie, falls sie zu stolz sei, seine milde Gabe anzunehmen, einen Teil ihres Anteils vom Geld, das man bei den Soldaten erbeutet hatte, zum Kauf von neuen Kleidungsstücken verwenden solle.
    „Kauf dir auch ein Kleid, Schätzchen", hatte er sie freundlich gedrängt, „ein hübsches Kleid. Ich möchte dich so sehen, wie du aussehen solltest."
    Das war eine unwiderstehliche Versuchung, und außerdem hatte Carys den Eindruck, dass sofortiges Handeln ihrerseits zur Rettung Telors oder Deris nicht notwendig sein würde. Alles, was sie davon abhielt, sofort loszurennen und sich neue Kleidungsstücke zu kaufen, war ihre Angst, betrogen zu werden, weil sie den Wert des Geldes nicht kannte. Die Kosten für ein Seil schienen in keinem Verhältnis zu denen von Kleidungsstücken zu stehen. Sie
    beschloss, auf Deri zu warten und ihn zu bitten, sie zu begleiten. Falls seine Stimmung sich nicht geändert hatte, würde sie allein losgehen müssen, doch falls er sich darüber freuen sollte, dass sie seine Hilfe brauchte, würde das beweisen, dass Telors Vermutung tatsächlich zutraf, und das wäre wunderbar. Außerdem war sie seit zwei vollen Tagen nicht mehr auf dem Seil gewesen. Daher konnte sie, bis Deri zurückkam, die Zeit Gewinn bringend nutzen, falls der Wirt ihr erlaubte, auf dem Hof zu üben.
    Glücklich hastete sie die Leiter hinunter und lugte durch die Hintertür in das Speisehaus. Der Wirt war nicht da, sondern nur das winzige Mädchen, das auf einem Schemel stand und mit einem Kochlöffel, der fast so groß zu sein schien wie es selbst, in einem großen Topf rührte. Enttäuscht biss Carys sich auf die Unterlippe, bis ihr einfiel, dass das Mädchen kein Kind, sondern eine erwachsene Frau war.
    Vielleicht konnte es ihr die Erlaubnis geben, das Seil über den Hof zu spannen.
    Unschlüssig, ob sie den Raum betreten solle, da Gaukler oft in Speisehäusern nicht willkommen waren, sah sie das Mädchen zur Tür blicken.
    „Oh", äußerte es und hätte fast auf dem groben Schemel das Gleichgewicht verloren.
    Carys rannte zu ihm, hielt es fest und bewahrte es noch rechtzeitig davor, sich den Arm am Topf zu verbrennen. „Es tut mir Leid", rief sie aus. „Ich wollte dich nicht erschrecken."
    Das Mädchen starrte sie, nachdem sie es gestützt und dann ein Stück zurückgegangen war, aus großen dunklen Augen an, die so weit aufgerissen waren, dass sie befürchtete, sie würden ihm aus dem Kopf fallen. Dann sagte es: „Ein Mädchen! Du bist ein Mädchen und kein Junge! Warum bist du so angezogen?"
    In der Aufregung hatte Carys vergessen, die Stimme künstlich zu senken oder sich wie ein Junge zu benehmen. Sie fand, es sei gefährlicher zu versuchen, die Täuschung

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