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032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin
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Nachdem Telor sicher auf der Erde war, brauchte er ein Weilchen, um sich aufzurichten und die Schlinge um seine Taille zu lockern, die ihn nur deshalb nicht in zwei Teile geschnitten hatte, weil Carys das Seil mehrmals unter und über den Knoten geschlungen hatte.
    Und nun, da er aus dem steinernen Gebäude entkommen war, behinderte die Notwendigkeit, absolut geräuschlos vorgehen zu müssen, sich langsam zu bewegen und im tiefsten Schatten zu halten, seine unbeholfenen Bemühungen. Nur ein Gedanke verlieh ihm Hoffnung. Wenngleich es ihm vorkam, als seien mehrere Lebensalter verstrichen, seit er in dem Gefängnis zu sich gekommen war, sah er mit einem Blick zum Himmel und den wenigen Sternen, die in den Wolkenlücken blinkten, dass es noch einige Stunden bis zur Morgendämmerung dauern würde.
    Bis Carys durch ein sachtes Rucken am Seil merkte, dass sie es einziehen könne, war Deri wieder zu Atem gekommen. „Jetzt bist du dran", flüsterte er, während das eingeholt werdende Seil ihn streifte. Es hörte auf, sich zu bewegen, und Carys kicherte.
    „Dummkopf", murmelte sie. „Ich muss nicht an einem Seil zu Boden gelassen werden."
    „Du brauchst mir nicht zu helfen. Geh mit Telor und verstecke ihn. Ich werde hinunterklettern, sobald ich kann."
    „Der Balken wird dir eine Stütze sein", erwiderte Carys ungeduldig. Deri spürte ihre Hände, die das Seil um ihn schlangen und daran zerrten, bis Caiys sicher war, dass die Schlingen fest saßen. „Keine Sorge. Ich habe mein Leben lang mit Seilen gearbeitet. Die Knoten werden halten."
    Sie wusste, an dieser Behauptung konnte es keinen Zweifel geben. Rasch und geschmeidig kletterte Deri nach unten. In der Dunkelheit hatte er Mühe, Telor zu finden, der zwar noch stand, sich jedoch an die Wand gelehnt hatte. Einige Minuten später kroch links von Telor ein Schatten behänd an der Wand entlang. Mit Carys in der Mitte, damit Telor und Deri sich auf sie stützen konnten, huschte man um die Ecke des Gebäudes und unter dem Wehrgang entlang. Dort bedeutete Carys ihren Begleitern, still zu sein, und verschwand.
    Dankbar setzte Telor sich auf die Erde, und Deri starrte erst ängstlich die Umgebung an und dann das, was er von den Gebäuden und dem Hof erkennen konnte. Alles war ruhig, abgesehen von den regelmäßigen Geräuschen der Schritte des über ihm hin und her gehenden Wächters und dem Knarren der Bohlen. Trotz der Stille wurden die beiden Männer zunehmend verzweifelter vor Angst, und als Carys mit Telors Bauernspieß, der alten Harfe, der kleinsten Laute und einem in eine Decke gehüllten Bündel zurückkehrte, hatten beide das dringende Bedürfnis, sie eigenhändig zu erwürgen, weil sie sich in Gefahr gebracht hatte. In Anbetracht des Todes, der ihnen drohte und dem sie noch nicht entronnen waren, hatten die Dinge, die Carys gerettet hatte, einen vergleichsweise geringen Wert. Und dann, ehe man auch nur einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen konnte, hatte sie ihre Last abgelegt und nur das Seil behalten, von dem sich nie zu trennen sie sich geschworen hatte, und war schon wieder weggelaufen.
    Dieses Mal kam sie schneller zurück, und zu Telors größter Überraschung warf sie sich gegen ihn und klammerte sich an ihn. Unwillkürlich schlang er die Arme um sie, und einen bestürzten Augenblick lang verband er ihr Verhalten mit seiner Bemerkung, er habe sich gewünscht, sie wenigstens ein Mal geliebt zu haben. Im nächsten Moment merkte er, dass sie von stummem Schluchzen erschüttert wurde.
    Er neigte sich zu ihr, wagte jedoch nicht, etwas zu äußern, obwohl seine Lippen dicht an ihrem Ohr waren. In Abständen hörten sie den Wächter direkt über ihnen patrouillieren, und Telor befürchtete, selbst das leiseste Murmeln könne gehört werden. In dem Augenblick, da er lauschend den Kopf hob, erkannte er, dass die schweren Tritte nicht mehr zu hören waren. War der Mann stehen geblieben, weil er Verdacht geschöpft hatte? Telor horchte so angestrengt, dass er einen Moment brauchte, um zu begreifen, dass Carys sich gegen ihn stemmte, um freizukommen.
    Er ließ sie los und fühlte, dass sie seine Hand ergriff. Ihre Hand war feucht und etwas klebrig, und plötzlich begriff er, warum er den Wächter nicht mehr auf und ab gehen hörte.
    Beinahe hätte er seine Hand zurückgezogen, um nicht mehr Caiys' blutige zu berühren, doch dann hielt er sich vor, dass der Wächter, von wem immer er erstochen worden sein mochte, gestorben war, damit er selbst freikam. Es war nicht

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