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ihn ritzte. Später vernahm er eine gedämpft vorgetragene Litanei von Obszönitäten aus dem Munde Deris, die, wie er überzeugt war, dessen Reaktion auf das in seine Hände wiederkehrende Gefühl war. Er hingegen fühlte noch immer nichts.
„Telor?"
Das war Carys' Stimme gewesen. „Hier", antwortete er. Dann noch ein zweites Mal
„Hier." Er hörte sie auf den Fußboden klopfen und nach ihm tasten. Ihre Hand streifte sein Bein, glitt höher und ergriff ihn am Arm. Im Nu begriff er, dass Carys seine Hand rieb, drückte und knetete, doch das spürte er nur an der Art, wie sein Arm bewegt wurde.
„Ich glaube nicht, dass du mir helfen kannst", sagte er leise. „Meine Hände sind abgestorben. Ich wünschte, ich hätte dich wenigstens einmal geliebt, Carys."
„Sie sind nicht abgestorben", wandte sie ein. „Sie sind warm."
Telor glaubte ihr nicht, erwiderte jedoch nur: „Das spielt keine Rolle. Ich werde nie fähig sein, an dem Seil hochzuklettern."
„Nein", stimmte Caiys ihm ruhig zu. „Aber Deri und ich können dich hochheben."
„Wollt ihr mich tragen?" fragte Telor. „Ich kann nicht laufen. Man würde uns erwischen, und wir alle würden sterben. Du und Deri..."
„Ich gehe nicht ohne dich", unterbrach der Zwerg und kroch näher. „Ich bin willens, dich zu töten, um dir die Folter zu ersparen, aber ..."
„Narr!" rief Telor aus: „Ich vermag nicht zu glauben, dass meine Hände, selbst wenn sie nicht abfaulen, je wieder so sein werden wie zuvor. Wenn ich kein Instrument mehr spielen kann ..."
„Es ist noch Zeit genug, darüber nachzudenken, wenn Wir hier weg sind", fiel Caiys ihm ins Wort. Vor Anspannung hatte ihre Stimme gebebt. „Jetzt solltest du versuchen, Deri, ob du an dem Seil hochklettern kannst."
„Noch nicht", sagte Deri. „Noch kann ich meine Hände nicht schließen."
Aber er konnte sie gut genug dazu benutzen, Telors Füße zu massieren, wenngleich er vor Schmerz ächzte, während er drückte und rieb und sich ebenso viel Gutes tat wie Telor. Das Drücken und die anderen Bewegungen trugen dazu bei, den Blutstau, der dazu geführt hatte, dass seine Hände angeschwollen waren, zu beheben.
Schließlich glaubte er in der Lage zu sein, sich das Seil emporzuhangeln. Telor und Carys zitterten vor Furcht, bis er, nach zwei erfolglosen Versuchen, es schaffte, an dem Seil hochzuklettern. Zwischen diesen Versuchen hatten er und Carys verzweifelt Telors Hände massiert, denn ungeachtet dessen, was sie geäußert hatte, würde die Notwendigkeit, Telor tragen zu müssen, die Flucht ungemein komplizieren. Und jeder von ihnen blickte ständig nervös zu dem Loch im Dach und war dann jedes Mal sicher, dass der Himmel sich bald erhellte und sie dem Untergang preisgab.
In Wirklichkeit verstrich die Zeit jedoch viel langsamer, als man vor lauter Angst glaubte, und es war noch immer dunkel, als Deri, von der Anstrengung keuchend, schließlich rittlings auf dem Balken saß, an den Carys das Seil gebunden hatte.
Davor hatte Telor noch einmal darum gebeten, getötet zu werden. Darauf hatten Deri und Carys nicht geantwortet und lediglich ihre Bemühungen, das Leben in seine Glieder zurückzubringen, verdoppelt. Die Beharrlichkeit wurde belohnt. Zwischen Deris erstem und zweitem Versuch, an dem Seil hochzuklettern, hatte Telor, vor Freude schluchzend, ausgerufen, er fühle ein Prickeln. Bald danach hatte er vor Schmerz die Zähne zusammenbeißen müssen, als das zurückkehrende Gefühl ihn peinigte. Dennoch stand, als Deri bereit war, ihn auf dem Dachsparren entgegenzunehmen, außer Frage, dass er fähig sein würde, den Aufstieg vorzunehmen. Er konnte sich mit Hilfe auf den Beinen halten und wusste, dass er nach einer Weile imstande sein werde zu laufen.
Es war wie ein kurzer Aufenthalt in der Hölle, als man ihn aus dem Gebäude schaffte. Da die Dachsparren jedoch so niedrig waren, brachten Deri und Carys es fertig, ihn hochzuheben. Er wog nicht so viel. Deri allein hätte ihn hochheben können, hätte er auf festem Boden gestanden und nicht auf dem schmalen Balken gesessen.
Nachdem man Telor oben hatte, war es viel leichter, ihn auf den Knien im Gleichgewicht zu halten, so dass er sich durch das Loch im Strohdach stemmen konnte. Danach ließ man ihn, vom Seil gebremst, über das Dach zu Boden rutschen.
Dennoch war Deri, mit dem man in der Großen Halle nicht sehr sanft umgesprungen war, nach dem Nachlassen des Fallgewichts am Seil so erschöpft, dass er beinahe von dem Sparren gefallen wäre.
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