032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin

Vom Netzwerk:

hinunter. Sie wusste, das geteilte Seil reichte nicht bis zur Erde. Die verbleibende Distanz war jedoch nicht sehr groß, so dass Carys, als sie merkte, dass ein Teil des Seils zu Ende war, ihn einfach losließ und sich, das Seil mit sich ziehend, wodurch ihr Fall etwas verlangsamt wurde, fallen ließ.
    Sie wurde von zwei starken Armen aufgefangen. Ein zweites Paar Arme hielt sie fest, und sie fühlte Lippen auf ihren. Die Erleichterung wurde beinahe sofort durch Wut ersetzt. Carys hatte den Eindruck, dass die Feier etwas verfrüht war. Die schlimmste Gefahr war noch nicht vorüber, da die Wachen das Gelände außerhalb des Wehrgangs beobachteten. Jede Minute Verzögerung war eine Minute weniger, in der die Finsternis die Flucht kaschierte. Daher entzog Carys Telor ihre Lippen, stieß ihn mit aller Kraft von sich und zeigte wiederholt und eindringlich von der Palisade fort.
    Verlegen trat Telor einige Schritte zurück und kam sich dumm vor. Er hatte Caxys ganz gedankenlos umarmt, in einer Aufwallung von Dankbarkeit und Freude, doch in dem Moment, da seine Lippen ihre berührt hatten, war er von so übermächtigem Verlangen überkommen worden, dass er jedes Gefühl für Ort und Zeit verloren hatte. Da er wusste, dass die Dummheit seines Verhaltens ihm überhaupt keine Hilfe war, um das Gefühl der Zurückweisung zu verringern, denn Carys war nicht von den gleichen überwältigenden Regungen mitgerissen worden, und weil er sich darüber im Klaren war, dass seine Gefühle unter den gegebenen Umständen nicht nur vollkommen unangebracht, sondern auch grenzenlos lächerlich waren, wurde er noch wütender, auf Carys, auf sich und am meisten auf Orin, dem er an allem die Schuld gab. Er zitterte vor Begierde, Wut und Hass, zwang sich, ruhig zu sein, und schaute sich voll neuer, grimmiger Entschlossenheit um.
    Sir Richard hatte Marston verloren, weil er nie ein guter Kriegsmann gewesen war.
    Das hatte zu ihren Schwierigkeiten geführt, würde ihnen aber auch helfen zu entkommen. Telor war nämlich sicher, dass Sir Richard die direkte Umgebung außerhalb der Palisaden nicht von Gebüsch befreit hatte, das Angreifern hätte Schutz bieten können. Da Carys den Wächter außer Gefecht gesetzt hatte, würde das Gelände direkt vor der Stelle, wo man über die Palisade geklettert war, nicht so aufmerksam beobachtet werden, bis das Fehlen des Wächters bemerkt wurde.
    Telor lehnte sich an die Pfähle der Palisade und versuchte, sich an einen Orientierungspunkt zu erinnern, der dazu beitragen würde, sich nicht zu verlaufen.
    Es war viel zu dunkel, um irgendetwas richtig erkennen zu können, doch nur ein kurzes Stück entfernt schienen in nördlicher Richtung drei größere Schatten zu sein.
    Er zuckte zusammen, als er eine Hand auf dem Arm spürte, die ihn sacht schüttelte.
    Er sah Deri ihn ängstlich anstarren und merkte, dass seine Begleiter zum Aufbruch bereit waren. Carys hatte das Seil zusammengerollt. Deri hatte es irgendwie fertig gebracht, das Bündel auf dem Rücken zu befestigen, und hielt den Bauernspieß in der Hand. Telor drückte Deris Hand und zeigte auf die drei großen Schatten, die sich vom kaum helleren Himmel abhoben. Er sah Deri dorthin schauen und dann wieder ihn ansehen. Er krümmte Deris Finger - einen, zwei, drei - und zeigte wieder auf die Schatten. Es bedurfte dreier Versuche, bis Deri heftig nickte und seinerseits auf die drei dunklen Hügelkuppen zeigte. Telor nickte und drehte Deri zu Carys herum. Er sehnte sich verzweifelt danach, die Notwendigkeit zu Erklärungen als Vorwand zu benutzen, um sie berühren zu können, doch sein Verlangen beschämte ihn und machte ihn noch wütender auf sich. Er hielt sich vor, Carys wolle nichts von ihm wissen, und wandte ihr den Rücken zu, als Deri sich ihr näherte und mit ihr dasselbe Verfahren begann, das er soeben mit ihm abgeschlossen hatte. Warum konnte er nicht Manns genug sein, sein Verlangen nach ihr zu bändigen?
    Er nahm die Laute und die Harfe vom Rücken, löste einen Riemen und band die beiden Instrumente zusammen. Dadurch wurde der Trageriemen enger, doch das war nur von Vorteil. Deri war bereits wieder neben Telor eingetroffen, da Caiys sehr schnell die Notwendigkeit begriffen hatte, dass man auf die drei hohen Schatten zustreben müsse. Telor griff nach dem Bauernspieß. Der Zwerg händigte ihn ihm gern aus, weil die Länge der Waffe ihm die Handhabung beschwerlich machte. Telor zwängte den Bauernspieß zwi-sehen die Laute und die Harfe, damit