Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin
Vom Netzwerk:
einer Klinge, mit dem er versuchen konnte, die Fesseln durchzutrennen, oder, falls ihm das misslang, sich die Pulsadern aufzuschneiden und ein friedliches Ende zu finden.
    Erst in dem Moment, da er merkte, dass er überhaupt nichts mehr sah, begriff er, dass Zeit von Bedeutung war. Er war an den Mauern entlanggekrochen, weniger als einen Schritt von ihnen entfernt, und hatte jede Handbreit des Fußbodens abgesucht. Der Raum war so klein, dass er nach einer neuen Runde alles abgetastet haben würde bis auf ein kleines Stück in der Mitte. Dafür war es jedoch zu dunkel, und er hatte nichts gefunden, nicht einmal einen Stein. Seufzend ließ er den Kopf auf den Fußboden sinken. Er fühlte sich krank vor Angst, war aber auch so erschöpft, dass er einschlief.
    Ein Schlag auf den Kopf weckte ihn. Einen Augenblick lang war er nur überrascht.
    Dann, als die Erinnerungen zurückkehrten, versteifte er sich in Erwartung eines weiteren Schlags, doch nichts geschah. Das, was ihn getroffen hatte, was immer es gewesen war, hatte ihm nicht wehgetan. Er versuchte, die Beine zu krümmen, um sich dem Gewicht zu entziehen, doch alle seine Muskeln schmerzten, da er sich gefesselt über den Boden gerobbt hatte. Und derweil er auf dem harten Boden schlief, hatten sie sich verkrampft. Dann bewegte sich das auf ihm liegende Gewicht.
    „Telor?"
    „Deri?" fragte Telor verblüfft. „Oh, Deri! Warum? Warum? Habe ich dir nicht gesagt, du solltest zu Carys gehen und mit ihr verschwinden?"
    „Sei kein Narr", antwortete der Zwerg seufzend. „Carys Wlrd ohne mich sicherer sein. Ich habe ihr gesagt, sie solle das Geld und die anderen Sachen aus der hohlen Harfe nehmen. Dann hätte sie genug zum Leben, bis sie eine Schaustellertruppe findet." Eine Weile herrschte Schweigen. Schließlich fuhr Deri fort: „Ich habe drei Männer getötet, ehe sie mich überwältigten und in dieses Gebäude warfen, Orin jedoch leider nicht umgebracht."
    „Der Teufel hält seine schützende Hand über seinesgleichen", murmelte Telor.
    „Wie wahr!" brummte Deri. „Der Stein ist zwar in die richtige Richtung geflogen, doch es saß ein anderer Mann an dem Tisch und hat sich genau in dem Moment vorgebeugt, so dass er getroffen wurde und nicht Orin. Ich habe gesehen, wie die Schädeldecke zerplatzte und der Stein in den Kopf drang. Ich glaube nicht, dass der Mann am Leben bleiben wird. Die anderen beiden Männer habe ich mit meinem Dolch erledigt. Einen von ihnen habe ich in den Bauch gestochen, den anderen in den Hals."
    „Wenn also der Mann, dem ich mit meiner Laute einen Schlag auf den Kopf verpasst habe, ebenfalls stirbt, dann haben wir zwei weitere Tote." Wieder trat Schweigen ein, in dessen Verlauf Telor merkte, dass Deri und er zusammen nicht so hilflos waren, wie er das allein gewesen war. „Deri", sagte er, „dreh dich auf den Bauch. Ich werde versuchen, die Knoten deiner Fesseln aufzumachen oder, falls mir das nicht gelingt, den Strick durchzubeißen."
    „Warum? Mein Kopf liegt bereits auf deinem Rücken. Lass mich versuchen, deine Fesseln zu lösen."
    „Nein", entgegnete Telor. „Und meine Weigerung ist kein Edelmut meinerseits.
    Meine Hände sind so taub, dass ich nicht imstande wäre, dir die Fesseln abzunehmen, selbst wenn du mich von meinen befreien könntest. Ich habe auch an meinen so gezerrt und sie gedehnt, dass die Knoten sich zusammengezogen haben."
    Dieser Einwand war so vernünftig, dass Deri sich nicht mehr sträubte. Sich windend, gelangte er auf den Fußboden und drehte sich auf den Bauch. Dann dauerte es ein Weilchen, bis er Deris gefesselte Handgelenke in der Dunkelheit fand. Bald wurde es offenkundig, dass es unmöglich war, die Knoten mit den Zähnen zu lösen. Das Zerkauen des Lederriemens weckte jedoch Hoffnungen, weil Telor den ganzen Knoten in den Mund nehmen und seine Backenzähne benutzen konnte. Die Hoffnung trieb ihn an, aber seiner Fähigkeit, lange zu kauen, waren Grenzen gesetzt.
    Immer wieder musste er sich ausruhen. Zunächst redete er während der Ruhepausen mit Deri und schmiedete Pläne, was man tun würde, sobald sie beide frei waren. Derweil er kaute, schwieg auch Deri, und im Verlauf der Stunden stellten sie beide fest, dass alles gesagt war, was gesagt werden konnte.
    Die Mauern des Gebäudes waren dick und hielten jedes Geräusch von außen ab, so dass das eigenartige Kratzen und Rutschen auf dem Strohdach noch lauter zu hören war. Die beiden Männer erstarrten verblüfft, als das Rutschen sich in ein leises

Weitere Kostenlose Bücher