0324 - Im Nichts gestrandet
Zeit zurückgingen, in denen unsere Vorfahren sich noch von organischer Materie ernährten und selbst Materie waren. Ihr Geist war damals noch unterentwickelt, und sie benutzten ihn kaum.
Andere Brels wiederum stießen noch weiter zurück, sogar bis in jene Zeiträume, als es auf unserer Welt noch keine Lebewesen gab. Sie hielten sich viele Wochen und Monate auf einem unbewohnten Planeten auf, und nur selten fanden sie die Spuren anderer Reisender. Aber sie entdeckten die Anfänge des Lebens und trugen mit ihren Erfahrungen dazu bei, daß unsere Wissenschaft heute die lückenlose Geschichte der Entwicklung besitzt.
Es soll sogar Brels gegeben haben, die so weit in die Vergangenheit vorstießen, daß sie niemals mehr zurückkehrten. Es ist meine Pflicht abermals an dieser Stelle kurz auf die Regeln einzugehen, denn viele von euch werden bald ihre erste Reise antreten können, wenn sie fünfzig Jahre alt geworden sind.
Es steht jedem frei, die Richtung der Reise zu wählen. Den Jahren sind keine Grenzen gesetzt, aber ihre Zahl muß vor Antritt der Reise hinterlassen werden. So weiß die Administratur stets, wohin der Betreffende gegangen ist. Das ist unerläßlich, um die Forschungen nicht zu unterbrechen.
Die Gefahr einer Reise in die Zukunft besteht darin, daß der Betreffende in dem Augenblick zu existieren aufhört, wenn er sein Todesdatum überschreitet. Dann gibt es kein. Zurück in die Gegenwart mehr. Niemand kennt das Datum seines Todes - es kann zehn, es kann aber auch vierzig Jahre in der Zukunft liegen. Somit ist eine Reise in die Zukunft stets mit Lebensgefahr verbunden ein Tribut, den wir an das Schicksal zu zahlen haben, das uns dieses aufregende Vergnügen zugestanden hat.
Nachdem ich nun pflichtgemäß auf die Bestimmungen eingegangen bin, will ich euch mein Abenteuer berichten. Ich wählte, da ich bereits achtzig bin, nur einen Zeitsprung von zehn Jahren. Die Administratur war damit einverstanden, aber ich nahm von meinen engsten Freunden Abschied. Es gibt genug Brels, die mit neunzig starben.
Nach der Meditation erwachte ich - und lebte.
Ich werde also mit Sicherheit neunzig Jahre alt werden, ein beruhigendes Gefühl für einen alten Brel wie mich - sollte man meinen. Aber mein Abenteuer ist ja noch nicht zu Ende. Es begann erst, als ich erwachte.
Ich wußte also, daß ich noch lebte, und ich machte mich gleich auf den Weg, mich zu suchen. Keine Unterhaltung kann lehrreicher und interessanter sein, als die Unterhaltung mit sich selbst.
Bis zum fünfzigsten Lebensjahr weiß kein Brel, wie für ihn die Zukunft aussieht. Sobald erst die Reisen beginnen, weiß er es - wenn er den Schritt in die Zukunft wagt und sich selbst dort vorfindet. Ich habe das immer getan, und es gab in meinem Leben nur wenig Lücken.
Ich wanderte den Strand entlang, denn ich hatte meine Wohnung verlegt. Oder soll ich besser sagen: ich werde sie verlegen?
Viele Brels begegneten mir, darunter auch einige, die jetzt vor mir sitzen. Ihr wißt, daß ich an meinen Eid gebunden bin, ich darf also keine Namen nennen. Ich fragte nach dem alten Rogar, und so erfuhr ich, wo ich lebte - mein reales Ich lebte.
Ich war nicht erstaunt, mir zu begegnen. Zu oft schon war das geschehen. Ich lud mich zum Sitzen ein, gönnte mir einige tiefe Atemzüge der herrlichen Abendluft, und dann begannen wir, unsere Erfahrungen auszutauschen.
Ich erfuhr, was mir in den kommenden zehn Jahren bevorstand. Ich horte, daß alles Leben so weiterging wie bisher und daß keine größeren Katastrophen zu befürchten waren. Ich wurde gesund bleiben, mir eine neue Hohle suchen und neue Freunde finden.
Dann sagte ich zu mir: „Ich muß gestehen, daß ich die ersten Anzeichen der endgültigen Auflösung bereits spüre. Keiner weiß, wie lange das dauert; bei manchen geht es schnell, bei anderen kann es Monate in Anspruch nehmen, sogar Jahre. Willst du bei mir bleiben, solange es geht?"
Ich muß gestehen, daß ich sofort sehr beunruhigt war. Wenn ich starb, solange ich auf Reisen war, starb auch ich. Aber ich hatte ja die Möglichkeit, jederzeit zurückzukehren. Also sagte ich: „Natürlich bleibe ich bei dir. Soweit ich mich erinnern kann, hatte noch kein Brel die Gelegenheit, seinem eigenen Tod beizuwohnen... Oh, ich bitte um Verzeihung. So war es wirklich nicht gemeint."
Ich lächelte mir zu, vage und etwas nachsichtig.
„Deine Neugier ist verständlich, besonders da wir identisch sind. Es interessiert dich, zu wissen, wie du eines Tages sterben
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