0325 - Die Loge der Henker
eine Zündkerze heraus, die sie in die Tasche steckte. Das mochte ausreichen, einen Diebstahl zu vereiteln.
Neben dem Fahrersitz hatte Dagmar ein unterarmlanges Kabelstück liegen, das sie zu ihrer eigenen Sicherheit dabei hatte. Frankfurt war nicht gerade eine friedliche Gegend, und manchmal mußte man sich schon seiner Haut wehren. Das Kabel wirkte wie ein Gummiknüppel und hatte Dagmar schon oft in gefährlichen Situationen geholfen.
Noch einen kurzen Blick auf den Wagen, dann machte sich das hübsche Mädchen mit der hauteng anliegenden Kleidung aus schwarzem Leder auf den Weg zurück zu der Abzweigung nach Estradas…
***
Pedro Sanchez betrachtete zufrieden den Ritualkreis und das flammende Feuer. Er hörte das Fettgemisch im Kessel brodeln und wußte, daß nun die Zeit gekommen war, die Salbe fertig zu mischen.
Doch vorher mußte er sich so bekleiden, wie es das Ritual vorschrieb. Der Mensch, der zum Werwolf werden will, muß nackt sein. Nur um die Lenden trägt er das Fell eines grauen Wolfes.
Das Wolfsfell hatte Pedro einem der Hirten abgeschwatzt, nachdem er ihm einige Gläser roten Wein spendiert hatte. Niemand im Dorf hatte diesen Handel zur Kenntnis genommen.
Pedro entledigte sich seiner Kleidung und rollte sie zu einem Bündel zusammen, das er zwischen den Wurzeln einer mächtigen Eiche versteckte. Dann gurtete er sich das Wolfsfell um die Lenden.
Ein eigenartiges Gefühl durchrieselte seinen ganzen Körper. Irgendwie fühlte er sich jetzt frei von allen Zwängen und Moralvorstellungen, die er bisher anerkannt und geachtet hatte. Nun war er ganz er selbst geworden. Das Raubtier in ihm kehrte aus dem Käfig der Moral und Zivilisation zurück in die Wildnis. Er spürte die Kräfte, die ihm diese Nacht geben würde wie einen Schauer der Vorahnung durch seinen Körper dringen.
Aus der Ferne hörte er den Schrei eines Steinkauzes. Der Totenvogel schwebte durch die Nacht, und in den Dörfern erzitterten nun die Menschen. Man glaubte, daß der Tod sich einem Hause naht, vor dessen Fenstern der Steinkauz sein unheimliches Lied ertönen läßt.
Aus dem Geäst der Bäume antwortete dem Eulenruf das verschlafene Krächzen einer Krähe. Und von irgendwo klang das klagende Heulen eines Wolfes.
»Singe dein Lied, Bruder der Nacht!« flüsterte Pedro Sanchez.
»Bald folgen wir der gleichen Fährte und schlagen die Beute!«
Entschlossen trat der junge Mann in den Kreis. Ein leichter Wind hatte sich aufgemacht, der das Nachtgewölk wie eine Herde schwarze Rosse am tintenfarbenen Himmel entlang trieb. Schon waren die Ränder der Wolken wie von einer silberhellen Aura umflossen. Das Licht des Vollmondes drängte mit aller Macht durch die dunkle Wolkenbank.
Pedro Sanchez stieß den geschnitzten Stab in die breiige Fettlösung und rührte die brodelnde Salbe vorsichtig um. Mit der linken Hand streute er von Zeit zu Zeit die anderen Zutaten in den Sud, die in dem Buch aufgeführt waren und die Donna Chimena zur Nachtzeit gesammelt hatte.
Extrakt aus Schierling, dem giftigen Nachtschattengewächs. Dazu Eleoseliunum und Eisenhut. Außerdem getrocknete Blätter einer Silberpappel. Ein strenger Geruch drang in Pedros Nase. Brechreiz überkam ihn und er mußte sich zusammennehmen.
Aber der junge Mann wußte, daß er jetzt nicht schwach werden durfte. Er spürte, daß ihn bereits Geisterwesen umschwebten und beobachteten. Der Wolfsgeist wollte starke Diener:. Wenn er hier versagte, war er nicht würdig, ein Werwolf zu werden. Obwohl ihm die Dünste aus dem Kessel fast die Besinnung raubten, rührte er den sich immer mehr verdickenden Sud immer weiter.
Und dann spürte er im Inneren, daß die Mitternacht hereingebrochen war. Die erste Stunde des neuen Tages, die den Mächten der Dunkelheit gehört. Aufs neue schürte er die Flamme. Dann begann er langsam und mit dunkler Andacht, seinen ganzen Körper mit der Zaubersalbe aus dem Kessel einzureiben. Die glitschige Fettsubstanz drang sofort in die Poren der Haut und schien vom Körper vollständig aufgesaugt zu werden. Pedro spürte, daß in seinem Inneren eine eigenartige Verwandlung vorging.
Das Böse, das er herausforderte, ergriff von ihm Besitz. Pedro Sanchez ahnte nicht, daß sich unter seiner Haut der haarige Wolfspelz bildete. Sein klares Denken war ausgeschaltet – Pedro Sanchez war nur noch die gefühlsmäßige Wildheit, die fast zwanzig Jahre in seinem Inneren geschlummert hatte und nun herausdrängte.
Er kniete vor dem Feuer und hielt die Hände über
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