0325 - Die Loge der Henker
die Flammen ausgestreckt. Der Wind ließ seinen nackten Körper nicht erschauern.
Aber der volle Mond, der nun über die Barriere der Wolken gesiegt hatte und die Landschaft mit seinem Silberlicht übergoß, ließ unvorstellbare Kräfte in seinen Körper dringen. Langsam und mit sehr tiefer Stimme sang Pedro Sanchez das zeremonielle Lied an den Dämon, zu dessen Ehre die Wölfe heulen.
» Heil! Heil! Heil! Großer Wolfsgeist, Heil! « klang es dreimal zum unheiligen Präludium durch die Nacht. Dann fuhr Sanchez fort:
» Ich bitte dich, mächtiger Schatten, um eine Gabe. In diesem Zirkel, den ich gezogen habe, mach mich zum Werwolf, stark an Gestalt zum Schrecken aller – jung oder alt. Eine hohe, sehnige Gestalt sollst du mir gewähren; Die Flinkheit des Elchs, die Klauen des Bären; Das Gift der Schlange, des Wolfes Gier. Die Schlauheit des Fuchses, die Stärke vom Stier; Den Rachen des Tigers, die Zähne vom Hai; Die Augen der Katze, damit das Dunkel durchsichtig sei!«
Pedro Sanchez hielt inne mit dem Gesang. Seine Augen erkannten, daß aus dem Dunst des Rauches eine Gestalt entstand, die entfernt an einen Menschen erinnerte. Aber der ganze Körper und auch das Gesicht war vollständig behaart. Die Zähne im weit aufgerissenen Rachen glichen den gekrümmten Hauern eines Ebers und die rote Zunge glitt heraus wie eine Schlange. Grüngelber Geifer sabberte über die Lefzen. Die gelben Augen des unheimlichen Wesens schienen wie kalt brennender Schwefel.
»Hier bin ich, den du gerufen hast!« Die Stimme hallte wie eine dröhnend geblasene Posaune. »Verneige dich in Ehrfurcht vor Lykon , dem Herrn aller Wölfe. Deine Stimme hat mich emporgerufen aus den Schlünden, in denen ich schlafe, während meine Kinder zur nächtlichen Jagd aufbrechen. So rede noch einmal, Verwegener. Gib mir Kunde von den Dingen, die du von mir begehrst!«
Eine eisige Hand griff nach dem Herzen des Pedro Sanchez. In diesem Augenblick spürte er, welche Mächte er angerufen und herausgefordert hatte. Die Fürsten der Dunkelheit erschienen, wenn sie glaubten, ein Opfer zu finden. Einen Menschen, den sie ihre Bahn führen konnten.
Für einen kurzen Augenblick erkannte Sanchez, daß er in diesem Moment im Begriff war, sich endgültig von seinem Gott abzuwenden und sich ganz dem Bösen zu verschreiben. Egal in welcher Gestalt Dämonen oder Teufel auftauchen – sie alle gehören dem Kaiser LUZIFER, der in der Tiefe über Myriaden verdammter Seelen regiert.
Den Bruchteil eines Herzschlages überlegte Pedro, ob er nicht die Salbe vom Körper reiben, den Dreifuß umwerfen und die Haselrute zerbrechen sollte, um aus den beiden Teilen ein Kreuz zu bilden und es als Schutz gegen den Wolfsdämon zu benutzen.
Aber Lykon schien seine Gedanken zu erraten. Er verzog seine höllische Fratze zu einem spöttischen Grinsen.
»Sieh nur um dich, Mann, der es wagte, den Herrn der Wölfe zu rufen!« knarrte seine Stimme. »Erkennst du die Kinder der Nacht, die sich um den Kreis lagern? Sie erwarten den Bruder – oder das Opfer. Willst du das Heil deiner Seele retten dann zerbrich den Bann. Willst du aber dein Leben retten, dann wiederhole den Wunsch!«
Gehetzt sah Pedro Sanchez um sich. Und dann erkannte er die grauen Schatten, die sich, vom Mondlicht umflossen von der Dunkelheit abhoben.
Ein Rudel von mindestens fünfundzwanzig grauhaarigen Wölfen, die ihn mit ihren gelbfunkelnden Augen anstarrten. Die spitzen Rachen waren leicht geöffnet und die angehobenen Lefzen ließen zwei Reihen von weißen, dolchspitzen Zähnen erscheinen. Lange rosafarbene Zungen hechelten ihm entgegen. Er hatte keine Chance, sich gegen das Rudel zu wehren. Todesgrauen stieg in Pedro Sanchez auf. Im Inneren zitterte er, daß sich die Wölfe auf ihn stürzen und ihm mit ihren scharfen Zähnen ein schnelles oder langsames Ende geben würden – ganz wie es der Wolfsdämon ihnen eingab.
Hier das Leben – und dort eine Seligkeit, die er sich schon verscherzt hatte, indem er das Ritual begann. Sanchez glaubte nicht daran, daß ihm der Gott, zu dem er gebetet hatte, diese Sünde vergeben konnte. Er sah nicht den verzeihenden Vater aller Dinge, sondern den gestrengen und unnachsichtigen Richter. Er wollte nicht sterben… nicht jetzt … und nicht unter den Zähnen der Wölfe, die ihn umlauerten.
»Nun, Pedro Sanchez?« fragte Lykon, der Wolfsdämon. »Bist du mein künftiger Diener in der Ewigkeit – oder mein Gegner in den letzten Atemzügen deines Lebens. Sollen dich meine
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