0330 - Die lebende Legende
einfach nicht hineingehörte.
Die Halle lag in einem geheimnisvollen Zwielicht. Auf den ersten Blick hin wirkte sie leer. Menschen sah ich keine. Nur eine schlichte Bank. Sie stand vor einer großen Buddhafigur aus Holz. Man konnte auf der Bank knien und beten.
Yakup schritt auf die Figur zu. Als er sie erreicht hatte, schüttelte er den Kopf. Gleichzeitig vernahm ich seinen geflüsterten Kommentar.
»Man hat sie zerstört.«
Auch ich sah sie mir an. Ein Schwert hatte ihr den Schädel gespalten.
»Sie war sehr alt und wertvoll«, bemerkte er. »Ein Andenken, aber jetzt ist es…« Er sprach nicht mehr weiter und schüttelte den Kopf.
»Ich habe hier oft meditiert. In der Stille lag das Reden…«
Seine Stimme verging. Wir sahen keinen Menschen. Die hier lebenden Mönche schienen das Kloster entweder verlassen zu haben oder waren getötet worden.
An letzteres wollte ich einfach nicht glauben.
Zum Nebenraum gab es einen offenen Durchgang. Wir waren sehr auf der Hut, als wir ihn passierten, und gelangten ebenfalls in eine Halle.
Von den Ausmaßen her war sie kleiner als die erste. Auf dem Boden standen zahlreiche Sitzkissen. Sie bildeten einen Kreis, in dessen Mitte ich eine Schale erkannte. Sie besaß auch einen Inhalt.
Für mich war es nicht zu identifizieren. Man hatte hier etwas verbrannt, und Asche war zurückgeblieben.
Meine Blicke streiften durch jeden Winkel des Raumes und erfaßten auch die nach oben führende, geländerlose Treppe. Es waren glatte Steinstufen. In halber Höhe entdeckte ich einen Umriß.
Rasch ging ich näher, hörte Yakups Schritte hinter mir, und wir entdeckten das Schreckliche fast zugleich.
Auf der Treppe lag ein Körper.
»Nein!« hauchte Yakup, »nicht schon wieder…«
Ich ließ ihn stehen, lief die Stufen hoch und kniete neben dem Mann nieder.
Blutgeruch stieg in meine Nase. Von mehreren Stichen war der Mann getroffen worden. Er trug ein graues Gewand, das zahlreiche dunkle Flecken zeigte.
Ich wollte mich schon abwenden, als ich das Zucken seiner Augendeckel sah.
Der Mann lebte.
»Yakup!« zischte ich. »Er ist nicht tot!«
Blitzschnell war Yakup neben mir. Er sah meinen ausgestreckten, nach unten weisenden Zeigefinger und ließ sich auf die Knie fallen, während ich ihm Platz schuf.
In beide Hände nahm er den Kopf des Schwerverletzten und redete mit dem Mann. Er sprach ihn mit Namen an, ich habe ihn aber vergessen und schaute nur zu, wie er sich bemühte.
Yakup hatte Glück.
Der Mann wollte reden.
Es waren Worte, die ich nicht verstand. Stockend gesprochen.
Voller Angst und durch ein Hüsteln unterbrochen.
Der junge Türke fragte weiter. Leider bekam er keine Antworten mehr. Während er noch das Gesicht des anderen hielt, starb dieser.
Für einen Moment blieb Yakup noch sitzen. Er senkte den Kopf und schüttelte ihn.
»Komm zu mir«, bat ich ihn.
Er stemmte sich hoch. Seine Bewegungen wirkten schwerfällig und müde.
»Er ist gestorben«, flüsterte Yakup.
»Und was sagte er?«
»So gut wie nichts und dennoch genug. Ninja haben das Kloster überfallen und die Mönche überwältigt.«
»Sind sie alle tot?«
»Zum Glück nicht. Zu und die meisten seiner Brüder sind in einem Kerker gefangen.«
»Was wollten die anderen hier?«
Yakup lachte bitter. »Kannst du dir das nicht vorstellen? Sie brauchen für Shimada eine Heimstätte. Sie haben sich ihm verschworen. Es sind Menschen. In Japan gehörten sie den Yakuza-Killern an, einer mafiaähnlichen Organisation, die sich durch alle Schichten der Bevölkerung zieht. Man trifft sie bei den Reichen ebenso wie bei den Mittellosen.«
»Und die halten das Kloster jetzt besetzt?«
»So sieht es aus.«
»Dann frage ich mich, wo wir sie finden können?«
Da lächelte Yakup. »Wenn du durch den Boden schauen könntest, würdest du sie vielleicht sehen. In den alten Felsenkellern des Klosters werden sie alles vorbereiten, um Shimada einen würdigen Empfang zu bereiten. Wahrscheinlich werden sie die restlichen Mönche opfern, um Shimada ihre Gunst zu beweisen.«
»Wahrscheinlich sind es zu viele für uns«, bemerkte ich.
»Das befürchte ich auch. Sollen wir zurück?«
Ich zögerte mit einer Antwort. »Denk an den Wagen. Wir können nicht mehr fahren.«
»Und wenn wir zu Fuß gehen, haben Sie meine Freunde mittlerweile getötet.«
»Das kann passieren.«
Wir beide wußten wirklich nicht, wie wir uns verhalten sollten.
Wenn wir in die Tiefe stiegen, glich das fast schon einem Selbstmord. Aber konnten wir
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