0330 - Die lebende Legende
Pfeil auf die gespannte Sehne gelegt.
So schlich er vor.
Ich tat es ihm nach. Es war schon fast Wahnsinn, aber wir wollten sie locken, vielleicht machten sie dann Fehler.
Kaum war auch ich in die Höhe gekommen, ließ Yakup die Sehne los.
Der Pfeil jagte mit ungeheurer Geschwindigkeit in das Blattwerk der Bäume. Ob er ein Ziel getroffen hatte, war nicht festzustellen, es rührte sich jedenfalls nichts.
Der junge Türke blieb auch nicht stehen. Im Zickzack-Lauf jagte er auf das Ziel zu und hatte schon einen zweiten Pfeil auf die Sehne gelegt.
Er war bereit, sofort zu schießen.
Die anderen verhielten sich ruhig. Vielleicht hatten sie sich auch zurückgezogen, jedenfalls erreichte Yakup unangefochten die Bäume und konnte mir zuwinken.
Wenig später drückte auch ich mich gegen einen Baumstamm und schaute in die Höhe.
Durch die Strahlen der einfallenden Sonne schimmerte das Blattwerk an verschiedenen Stellen golden auf. Es kam mir vor wie Taler, die an einer Seite bemalt worden waren.
Den Umriß eines Menschen entdeckten wir auch bei genauem Hinsehen nicht. Sollte über uns tatsächlich jemand lauern, hatte er es geschickt verstanden, sich zu verbergen.
Allmählich beruhigte sich mein Atem. Auch der Herzschlag ging wieder normal.
»Glück gehabt!« flüsterte ich.
»Sie scheinen sich zurückgezogen zu haben«, bemerkte mein Freund leise und nickte gleichzeitig. »Sehen wir uns die Teiche an.«
Während er vorging, warf ich Blicke in die Höhe. Und später auch zurück, denn die Bauminsel kam mir noch immer nicht ganz geheuer vor. Dort tat sich nichts.
Die Gegner hatten es tatsächlich verstanden, uns eine gewisse Angst einzujagen. Sie spielten mit uns Katze und Maus.
Die Teiche waren runde Tümpel. Ihr Wasser glänzte, wo es nicht von bunten Seerosen bedeckt war, dunkel innerhalb des satten Grüns.
Manchmal spiegelten sich auch die Sonnenstrahlen darauf.
Zahlreiche Insekten schwirrten über den Teichen und führten in der Sonne ihre bizarren Tänze auf.
Ich holte ein paarmal tief Luft. Manche Teiche lagen sehr dicht beieinander, so daß sie sich an ihren Rändern fast berührten. Der Boden war sehr weich. Er hatte die Feuchtigkeit gespeichert.
Hinter dem Wasser hatten die Mönche einen tropischen Garten angelegt. Agaven, Hibiskus und Jasmin. Die letzten beiden verströmten einen intensiven Geruch.
Wo steckten unsere Gegner?
»Ich kann einfach nicht glauben, daß sie sich zurückgezogen haben«, sagte ich zu meinem Begleiter.
»Ich doch«, erwiderte Yakup. »Sie wollten uns ihre Stärke demonstrieren. Wahrscheinlich lauern sie im Kloster.« Er blickte mich an. »Willst du noch mehr von der Umgebung sehen, oder sollen wir auf direktem Weg zum Kloster hin?«
»Die Umgebung reicht mir.«
Er wandte sich nach links, weil wir in diese Richtung mußten.
»Daran habe ich auch gedacht.«
Yakup hatte den Bogen sinken lassen. Er war ein wenig unvorsichtig geworden. Wie trügerisch die Sicherheit war, bekamen wir wenig später zu spüren.
Yakup sah die Gestalt nicht. Mir aber fiel sie auf. Sie erschien jenseits des Teichs zwischen den breiten Blättern einer Agave. Dort war es düster, und der andere verschmolz fast mit dem langen Schatten der Blätter. An seiner Haltung erkannte ich, daß er den Bogen bereits gespannt hatte.
Der würde schießen!
Ziehen, zielen, schießen, das war fast eine Bewegung. Ich feuerte zweimal, sah, daß Yakup erschreckt zur Seite sprang und hatte auch getroffen.
Der feige Schütze torkelte aus seiner Deckung hervor. Wie im Krampf hielt er seinen Bogen fest, und der Pfeil jagte plötzlich los.
Er stieg in den Himmel, denn der Bogen war nicht mehr auf uns gezielt.
Ich atmete auf.
Eine Sekunde später hörten wir es Klatschen. Der Schütze war in einen Teich gefallen, wo er sofort sank, denn seine weite Kleidung saugte sich voll.
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn.
Yakub nickte mir zu. »Jetzt hast du mir das Leben gerettet, John. Den habe ich nicht gesehen.«
Ich winkte ab. »Vergiß es.«
Wir schauten auf den Teich. Der Körper wurde nicht wieder hochgespült. Vielleicht später einmal, darauf konnten wir nicht warten.
Das Kloster war wichtiger.
Noch vorsichtiger als beim erstenmal näherten wir uns dem Ziel.
Wir liefen sehr leise, rechneten mit Angriffen von allen Seiten und waren froh, als wir das breite Gittertor des Klosters erreicht hatten, das innerhalb der hellen Mauer eingelassen worden war.
Eine Hälfte des Tores stand offen. Wir hielten uns
Weitere Kostenlose Bücher