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0330 - Die lebende Legende

0330 - Die lebende Legende

Titel: 0330 - Die lebende Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Er hatte mich bisher nicht im Stich gelassen und würde es auch jetzt nicht tun. Einen dumpfen Laut vernahm ich, dann klirrte etwas, und wenig später hörte ich die Schritte.
    Yakup kam zurück.
    »Deine Lampe!« zischte er.
    Ich hatte sie sicherheitshalber schon hervorgeholt und schaltete sie ein.
    Ihr dünner Lichtfinger traf Yakup. Tatsächlich hielt er zwei Pechfackeln fest. Sein Gesicht befand sich zwischen den beiden.
    Schweiß glänzte auf der Haut.
    »Hast du Feuer?«
    »Ja.«
    »Wir können die Fackeln auch als Waffen nehmen«, erklärte er, während ich mein Feuerzeug hervorholte, es anknipste und das Pech am oberen Ende des Stabs anzündete.
    Jakup nickte dabei. Er entfachte die zweite an der ersten Fackel und übergab mir eine.
    »Ich gehe vor.«
    Das war keine Frage.
    Wir drehten uns zur Seite. Nur allmählich erkannte ich, wo wir gelandet waren. In einem unterirdischen Raum, von dem mehrere Gänge abzweigten. Eine für mich angenehme Kühle hatte die Hitze der Oberwelt abgelöst. Sogar ein Schauer rann über meine Haut.
    Sehr vorsichtig gingen wir weiter. Yakup betrat den breitesten Gang.
    »Wohin führt er?« hauchte ich.
    »Ins Heiligtum.«
    »Wie bitte?«
    »Ja, in den Raum, wo die Mönche ihre Toten aufbahren und darauf hoffen, daß die Geister ihrer Verstorbenen ihre Gedanken beflügelten. Du wirst sie sehen. Erschrick nicht.«
    Ich war zum Glück einiges gewohnt und blieb Yakup auf den Fersen.
    Der Widerschein unserer Fackeln geisterte als schattenhafte Wellen über die Wände. Sie waren kahl. Keine Zeichnungen, kein Muster, völlig leer und blank.
    Ich hatte schon längst die hier unten lauernde unheimliche Atmosphäre gespürt.
    Die Mönche, die in dem Kloster lebten, standen auf unserer Seite, aber die anderen, die das Kloster gestürmt und besetzt hatten, dienten dem Bösen.
    Und das war zu spüren.
    Der Odem eines mächtigen Dämons durchwehte die Gänge und Verliese. Ich glaubte ihn zu spüren. Überall am Körper schienen seine Hände zu sein, berührten, tippten an, glitten hinweg und auch vorbei.
    Die Kälte des Todes erwartete uns.
    Hatte nicht mein neuer Freund von den aufbewahrten Leichen gesprochen? Ich merkte sie.
    Yakup blieb stehen. Über sein Gesicht tanzte der Widerschein des Feuers. Die Haut sah aus, wie mit dunkelrotem Ziegellack bestrichen.
    »Es sind nur noch wenige Schritte, dann erreichen wir die große Halle der Weisheit.«
    »Wie das?«
    »Sie ist von den Mönchen so genannt worden. Meine Lehrmeister zogen sich oft tagelang dorthin zurück, um sich in Gebeten und Meditationen zu ergehen.«
    »Und die Verstorbenen?«
    »Ihr Geist hat die Mauern getränkt«, wisperte Yakup. »Du bist der erste Fremde, der sie überhaupt zu Gesicht bekommt. Noch einmal. Erschrick bitte nicht.«
    »Keine Sorge, das geht schon klar.«
    Wir legten die letzten Schritte zurück und erreichten unser Ziel. Es war gut, daß mich Yakup zuvor gewarnt hatte, denn ich bekam etwas zu sehen, woran ich nicht einmal im Traum gedacht hatte.
    Gerechnet hatte ich mit Särgen, in denen man die Toten aufbewahrte.
    Die waren aber woanders hingelegt worden. Vielleicht mußte man tatsächlich zu den Mönchen gehören und deren Lehren vertreten, um dies begreifen zu können.
    Ich konnte nur staunen.
    Wir hatten den Gang hinter uns gelassen und standen in einer großen unterirdischen Felsenhalle, deren Ausmaße ich nur schätzen konnte.
    Primär und bedeutend für uns war nur eines.
    Der Totenbaum!
    Er wuchs in der Mitte der Felsenhalle in die Höhe, war aber kein normaler Baum, sondern ein aus Holz hergestellter und lackierter.
    Er besaß Zweige und Äste. Nur keine Blätter.
    Dafür lagen in ihm die Toten.
    Ich sah sie in Astgabeln liegen. Manchmal nur bleiche Gerippe, andere wieder waren noch frisch und befanden sich in der ersten Stufe des Verwesungsvorgangs.
    Wieder andere sahen grauenvoll aus. Zählen wollte ich sie nicht.
    Es waren aber ziemlich viele. Man konnte den Baum praktisch als gefüllt bezeichnen.
    »Das sind die Verstorbenen, deren Geister aus dem Nirwana zu uns herabschauen«, hauchte Yakup. »Ich habe mitgeholfen, einen zu begraben. Es war feierlich und schrecklich zugleich.«
    Das konnte ich mir gut vorstellen. Ein paar Schritte ging ich auf den seltsamen Totenbaum zu. Meinen rechten Arm hatte ich erhoben. Das Licht der Fackel wurde ebenfalls in die Höhe geschleudert und tanzte zuckend über die Äste, Zweige und toten Gestalten innerhalb des Baumes. Im Widerschein wirkte mancher Schädel wie

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