0330 - Die lebende Legende
Fackeln umgeistert wurden, wirkten sie wie Gespenster. Von ihren Gesichtern sah ich kaum etwas, da die untere Hälfte durch Tücher verdeckt worden war. Darüber schimmerten die Augen. In ihren Pupillen brach sich das Fackellicht. Obwohl sie die brennenden Pechfackeln hielten, hatten sie noch ihre Waffen gezogen.
Lange Schwerter mit schmalen, ungemein scharfen Klingen, die im tanzenden Schein seltsam geformt aussahen und dann wieder wie mit Blut getränkt.
Yakup war näher an mich herangetreten. Ich hörte ihn scharf atmen.
Auch ihn belastete dieser Vorgang. Zudem mußte er wissen, daß er uns praktisch in diese Falle geführt hatte.
Einen Ausweg sah ich nicht.
Okay, ich hätte meine Beretta ziehen und schießen können. Einige Ninja hätten die lange Reise mitgemacht, doch gegen die große Übermacht hatten wir nicht die Spur einer Chance. Sie würden über uns herfallen wie eine tödliche, alles vernichtende Woge aus Leibern und Waffen.
Und dann kam Oziko!
Er war mit keinem Schwert bewaffnet. In seiner rechten Hand hielt er einen Revolver. Die Mündung deutete zwischen Yakup und mich.
Umgezogen hatte er sich nicht. Der elegante Anzug paßte nicht in die Szenerie. Das störte ihn überhaupt nicht. Sein Gesicht blieb ebenfalls unbewegt. Die Ränder seiner Goldrandbrille blitzten.
Zusammen mit seinen Schergen blieb er stehen. Den Kreis hatten sie ziemlich eng gezogen. Sie waren sich ihrer Sache so sicher, daß sie uns nicht einmal entwaffneten.
Oziko begann zu reden. »Ich will Ihnen etwas sagen, Sinclair. Ein altes Sprichwort lautet, daß derjenige, der die Kreise der Yakuza stört, getötet wird. Danach habe ich immer gehandelt, danach werde ich handeln. Mir ist es gelungen, in meiner Heimat die Ninja zu finden, die bereit sind, dem großen Shimada zu dienen. Ich habe lange gesucht, als ich hörte, daß Shimada, die lebende Legende, wieder zurückkehrte. Ich wollte schon früher mit ihm Kontakt aufnehmen, doch du kamst dazwischen. Er hat den Fächer, er ist unbesiegbar, und ich werde dafür sorgen, daß niemand die Waffe findet, mit der er besiegt werden kann. Auch ihr beide nicht. Shimada und seine untoten Ninja werden die Herrschaft übernehmen. Von uns bekommen sie gleichzeitig Unterstützung, und so wird etwas eintreten, das es bisher noch nie gegeben hat. Ninja und Zombie-Ninja kämpfen Seite an Seite. Das hat Shimada geschafft. Kannst du mir jetzt denjenigen nennen, der diese Armee aufhalten will?«
Das konnte ich nicht.
Da ich stumm blieb, begann Oziko zu lachen. »Da siehst du es. Du schaffst es auch nicht, obwohl man dich Geisterjäger nennt, wie ich inzwischen erfahren habe. Aber genug geredet. Bisher war alles Theorie. Du wirst doch sicherlich den sehen wollen, von dem die ganze Zeit über die Rede war. Oder nicht?«
»Komm zur Sache«, forderte ich ihn auf.
»Gern, mein Lieber, gern.«
Neben mir hauchte Yakup einige Worte, die ich zwar verstand, aber nicht begriff. »Egal, was geschieht, John, bleib ganz ruhig. Wir spielen mit hohem Risiko…«
Unsinn, was er da sagte.
Ich wurde abgelenkt, denn jenseits des Totenbaumes wuchs plötzlich eine geisterhafte Gestalt in die Höhe.
Ein Alptraum, Reinkarnation des Grauens.
Shimada, die lebende Legende!
ENDE des ersten Teils
[1] Siehe John Sinclair Nr. 186 »Die Blutorgel«
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