0330 - Die lebende Legende
»Warum sagst du das immer, Yakup?«
»Weil es stimmt.«
»Aber es gibt doch andere Frauen. Du hast sicherlich viele davon kennengelernt auf der Uni.«
»Sie waren nicht so wie du, Helen. Du bist anders.« Ich ließ mich in den Sand fallen und legte meine Hand auf ihre nackte Schulter.
Helen besaß eine wunderschöne Haut. So sanft, so warm. Als ich Helen streichelte, bemerkte ich, daß sie erstarrte und gleichzeitig erschauderte.
Es schien ihr zu gefallen, in dieser lauen Nacht am Strand zu sitzen und auf das Meer zu schauen. Meine Gedanken wanderten ab, obwohl sie sich mit Helen beschäftigten. Noch nie war es mir gelungen, mit Helen zu schlafen. Das sollte sich ändern, das mußte sich ändern. Vielleicht in dieser Nacht. Ich beugte den Kopf so weit nach vorn, daß die Lippen ihren Hals berührten.
»Nicht«, flüsterte sie.
»Doch«, erwiderte ich.
»Nein, bitte.« Sie drehte sich zur Seite und schaute mich an.
Ich lag im Sand und hatte nur meinen Oberkörper hochgestützt.
Unsere Blicke trafen sich.
In ihren Augen sah ich das Verlangen, es endlich zu tun. Gleichzeitig auch die Scheu, und ich wußte genau, daß Helen in diesen Minuten noch nicht soweit war. Sie brauchte etwas Zeit. Die wollte ich ihr geben.
Bei ihr war es anders als bei den Mädchen, die ich zuvor gehabt hatte.
Helen liebte ich. Die anderen waren nur mehr ein nettes Abenteuer gewesen. Man traf sich, fand sich sympathisch, schlief miteinander und trennte sich wieder mit einem lockeren Lächeln und dem Wunsch, noch einen guten Tag zu haben. Eben typisch amerikanisch.
Nicht bei ihr.
Helen kam aus sehr kleinen Verhältnissen. Ich hatte sie in einem Schuhgeschäft kennengelernt, wo sie im Lager arbeitete. Ich studierte und hatte ebenfalls im Lager einen Aushilfsjob bekommen. Es dauerte lange, bis wir zueinander fanden und Helen Vertrauen faßte. Danach waren wir unzertrennlich, und ich hatte mich mit dem Gedanken vertraut gemacht, sie zu heiraten.
Ein Mädchen, das ein schweres Schicksal hinter sich hatte. Sie war Vollwaise und hatte sich durchs Leben schlagen müssen, was nicht immer einfach gewesen war. Zahlreiche Enttäuschungen lagen hinter ihr, ich wollte sie nicht auch noch enttäuschen.
»Es ist schon gut, Schatz«, sagte ich weich und streichelte ihre Wange, bevor ich aufstand.
»Sollen wir jetzt essen?« fragte sie.
»Gern.« Ich lief dorthin, wo meine Kleidung im Sand lag. Hose, Hemd und Turnschuhe streifte ich hastig über.
Dabei fiel mein Blick auf das Meer. Es bildete eine unendliche Fläche.
Sie lag nicht still, sie bewegte sich, bildete Wellen, die Schaumhauben trugen und im Licht des Mondes geheimnisvoll schimmerten, als würden sie eine Botschaft aus irgendeiner fremden Welt zu uns an den Strand herantragen.
Wenn ich schräg nach rechts schaute, sah ich eine Lichterkette in der Luft schweben. Sie erinnerte mich an eine leuchtende Perlenschnur. Das war die berühmte Golden Gate Bridge, die von der Ferne zu uns herübergrüßte.
Ein wunderschöner Anblick. Die Brücke vereinigte sich mit der majestätischen Ruhe der Nacht.
Ein paar Schritte vor mir liefen die Wellen aus. Wie kleine Zungen leckten sie über den Sand, um sich zu verlaufen oder zu versickern.
Dazu der Mond am dunkelblauen Himmel, das leise Rauschen – eine Nacht für Verliebte, die einfach mit einem Ziel enden mußte, das nahm ich mir vor. Helen rief mich. »Kommst du, Yakup?«
»Gern.«
Ich freute mich auf das Essen. Helen konnte fantastisch kochen.
Man konnte sie als perfekt bezeichnen. Was sie in die Hand nahm, das klappte. Ich schlenderte näher. Meine Augen »aßen« bereits, als ich die Blicke über die Decke gleiten ließ, auf der Helen all die Köstlichkeiten ausgebreitet hatte.
Geflügel, Fleisch, Brot, Käse, Obst und Säfte. Davon hätte man eine Familie ernähren können. Für zwei Personen war das zuviel.
Ich schaute Helen an, als ich mich in den vom Tage noch warmen Sand fallen ließ.
»Das soll ich alles essen?«
»Warum nicht?«
»Aber das ist zu viel.«
»Nach dem Schwimmen mußt du doch hungrig sein.«
»So schlimm ist es auch nicht. Wirklich, ich meine, eine Kleinigkeit hätte gereicht. Außerdem muß ich in Form bleiben.«
»Auch ein Karatekämpfer darf hin und wieder mal sündigen.«
Ich lächelte. »Das würde ich gern tun. Aber mit dir.«
»Erst mußt du dich stärken.«
»Heißt das vielleicht, daß wir anschließend…?«
»Vielleicht.«
Ich griff zum Brot und brach es. Das kalte Schweinefleisch schmeckte
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