0337 - Der »Sanfte« kennt jeden Trick
ruhig. »Wer haust jetzt in Barianos Wohnung?«
»Ich«, sagte die tiefe Stimme von Charles Wood. Er stand im Rahmen der Wohnungstür. Die schwere, schwarze Zigarre quirlte zwischen seinen Zähnen.
Neben ihm, fast zwei Köpfe kleiner als er, stand Sagretti. Ich weiß nicht, ob Sie sich an den Namen noch erinnern. Sagretti war derjenige von Barianos ehemaligen Leibwächtern, der den Handgranatenanschlag und die MP-Serien in der Kaschemme überlebt hatte. Pflaster verzierten noch sein Gesicht.
»Betrachtest du dich bereits als Barianos Erbe, Wood?«, sagte ich.
Der Hafen-Boss zuckte die massigen Schultern.
»Du kannst mir nicht verbieten, irgendein Haus in New York zu betreten und mit irgendeinem Mann zu sprechen.«
»Nein, aber ich kann mir meinen Reim darauf machen.«
Er grinste.
»Viel Glück beim Verse schmieden.«
Ich fasste Sagretti ins Auge. Dem Italiener wurde es unter meinem Blick unbehaglich.
Charles Wood spürte es.
»Sonst noch Fragen, G-man?«
»Nicht an dich, Charles, aber an ihn.« Ich zeigte auf Sagretti.
»Ich habe nichts mir dir zu besprechen«, schrie Sagretti in seinem harten, akzentbeladenen Englisch.
»Dann schicke ich dir eine Vorladung, und wir unterhalten uns morgen im Hauptquartier des FBI. Ist dir das lieber?«
Wood qualmte Dampfwolken aus der Zigarre.
»Lass dich von dem Bullen nicht einschüchtern, Lucio«, grunzte er. »Er blufft.«
Er wuchtete seine Elefantengestalt an mir vorbei.
»Ciao, G-man«, grölte er. »Du hörst, dass ich genug Italienisch kann, um mit den Jungs hier klarzukommen.«
Während Wood die Treppe hinuntertrampelte, nahmen Phil und ich Lucio Sagretti in die Mitte und gingen mit ihm in Barianos Wohnung. Er führte uns wortlos in den großen, mit Plüschsesseln vollgestellten Wohnraum. Mit unsicherer Handbewegung zeigte er auf zwei Sessel.
Sagretti fühlte sich offenbar in seiner Haut nicht wohl. Bis zum Tode seines Chefs war er nichts anderes gewesen als nur ein Leibwächter, der auf den Wink vom Boss lauerte, aber nicht gelernt hatte, selbst zu denken und selbst zu entscheiden. Jetzt, da Bariano tot war, bot sich ihm die Chance, Herr einer Gang zu werden, aber ihm fehlte der nötige Verstand. Ich konnte mir Woods Angebot, dass er Sagretti gemacht hatte, gut vorstellen. Eine Handvoll Dollars für den Gangster, das Versprechen eines gut bezahlten Postens mit wenig Arbeit in der Wood-Bande, und als Gegenleistung lieferte Sagretti die Namen aller Leute, die für Bariano gearbeitet hatten. Wood brauchte sich dann nur noch die Leute einzeln vorzunehmen und sie seinem Verein einzugliedern.
»Als Al Bariano getötet wurde«, begann ich, »hast du Glück gehabt, Sagretti. Du solltest dein Glück nicht strapazieren. Wenn du mit Wood arbeitest, gerätst du in die gleiche Zange, in der sich Bariano befand. Die Konkurrenz wird dir nicht verzeihen.«
Mir fiel Barianos Aberglauben ein. Vielleicht war auf die gleiche Weise bei Sagretti etwas zu erreichen.
»Mag sein, sie schicken dir vorher ein Kreuz-Ass ins Haus. Du hast gesehen, was das bedeutet.«
Als sollte ein knallender Punkt hinter meinen Satz gesetzt werden, peitschte von der Straße her das scharfe Knallen eines Schusses. Phil und ich schossen aus den Sesseln hoch, behinderten uns eine Sekünde lang gegenseitig an der Tür, einigten uns und fegten die Treppe hinunter, indem wir Gangster, Gorillas und was sonst alles in diesem Hause herumwimmelte, einfach stehen ließen.
Ich erreichte die Straße einen Sprung vor Phil.
Charles Wood Cadillac war unmittelbar vor dem Haus vorgefahren. Der Hafen-Gangster stand, zur Bildsäule erstarrt, neben dem Wagen. Sein Mund war offen wie ein Karpfenmaul. Die Zigarre qualmte vor seinen Füßen.
»Erwischt worden?«, schrie ich ihn an.
Er schüttelte langsam den Kopf, hob wie in Zeitlupe die Hand und zeigte auf ein rundes Loch in der Windschutzscheibe des Cadillacs. Wood musste im Begriff gewesen sein, in den Wägen zu steigen, als der Schuss fiel. Die Kugel war keine Handbreit an seinem Kopf vorbeigezischt. Der Gang-Boss konnte von Glück sagen, dass sein unbekannter Feind eine Sekunde zu früh geschossen hatte.
»Woher kam der Schuss?«
Er zeigte in die Dunkelheit der Straße hinein.
»Von dort«, stammelte er. Der Lähmung durch den Schreck folgte ein Wutanfall. Wood brüllte wie ein Ochse, der mit dem Schwanz an eine Stromleitung geraten ist. Er zerstampfte die Zigarre.
»Ich breche dem Kerl eigenhändig das Genick«, schrie er. »Keinen Zahn lasse
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