035 - Das Dorf der Kannibalen
gelacht und sich nicht weiter um ihn gekümmert.
Obwohl er die Augen fest zukniff, bekam er dennoch jede Einzelheit mit; dafür sorgte die Hexe schon; sie wollte ihm nichts ersparen. Einer der vier Kannibalen hatte eine Art Brunnenschacht im Steinboden aufgedeckt. Dort hinein warfen die Ungeheuer die Reste ihrer perversen Mahlzeit.
»Nun zu uns, Dorian Hunter«, sagte sie und stand endlich auf. »Wollen wir deine Widerstandskraft zuerst mit einer Frau oder mit einem Mann ausprobieren?«
»Pfeiff sie zurück!« brüllte Hunter sie an. Er hatte die Augen geöffnet, sah, daß zwei der Kannibalen die Küche verlassen wollten.
»Dein Wunsch ist mir Befehl«, spottete die Hexe. »Du bist also bereit?« Sie sah ihn erwartungsvoll an.
»Laßt mich allein.« Er senkte den Kopf. »Ich brauche größte Konzentration. Und ich erinnere dich an dein Versprechen.«
»Die Touristen werden frei sein. Mein Wort als Hexe darauf.«
Langsam drehte sie sich um und winkte ihre vier Kreaturen zu sich heran. Sie redete leise mit ihnen in einer Sprache, die Dorian nicht verstand. Dann gingen alle hinaus.
Hunter machte erst gar nicht den Versuch, sich von der Wand zu lösen. Er wußte, daß ihr Zauber zu stark war; ohne seine Dämonenbanner vermochte er gegen diese Kräfte nichts auszurichten.
Er starb nicht gern, schon gar nicht durch die Hand der Schwarzen Familie, doch es schien keine andere Möglichkeit zu geben, die Touristen zu retten. Er konnte es unmöglich zulassen, daß sie nacheinander getötet wurden.
Dorian war klar, daß die Hexe sehr genau verfolgte, was er dachte. Sie wollte sich nicht noch einmal hereinlegen lassen. Nun, sollte sie ihn ruhig überwachen. Er wollte seinen Teil des Vertrages erfüllen.
Er konzentrierte sich, bündelte seinen Willen und schickte ihn hinaus in die Atmosphäre. Er dachte an seinen Erzfeind und durfte sicher sein, von ihm gehört zu werden, denn das Böse war überall, wartete mit unsichtbaren Fühlern darauf, angeregt und aktiviert zu werden. Gnade oder etwa Hilfe hatte er von den Geschöpfen dieser irrealen Welt nicht zu erwarten, schon gar nicht von dem Fürsten der Finsternis. Er bekämpfte diese Welt und wurde gnadenlos von ihr gehetzt. Das Ringen war bisher unentschieden verlaufen, doch jetzt war sein Zahltag gekommen; er scheiterte an der List einer Hexe, die ihn in eine ausweglose Situation gebracht hatte.
Dorian Hunter sah ihn vor sich. Der Höllenfürst glich nicht der mittelalterlichen Fantasiefigur auf den alten Stahlstichen. Sein Gegenspieler sah wie ein gewöhnlicher Mensch aus; er war normal gekleidet und hatte das Aussehen eines älteren, ein wenig stutzerhaft gekleideten Gentleman. Er trug einen grauen Stadtmantel, einen Bowler und hielt einen Regenschirm in der Hand. Fast lächelte er ein wenig traurig.
»Verspielt«, sagten Hunters Gedanken. »Ich hatte mir das anders vorgestellt.«
Eva stürzte ins Gewölbe, sah sich nach allen Seiten um, schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, bebte vor Neugier und Eifer. »Wo ist er?«
Hunter hielt die Augen geschlossen. Er machte einen erschöpften Eindruck. Endlich hob er den Kopf, sah sie mit leerem Blick an.
»Wo ist er?« Sie schrie ihm diese Frage ins Gesicht, atmete hastig.
»Du hast doch mitgedacht«, murmelte Hunter leise. »Du mußt es doch wissen, Hexe.«
»Erinnere dich, sonst bringe ich dich um!«
»Ich gehöre dir schon nicht mehr.«
Sie flehte ihn förmlich an. Sie mußte den Beherrscher der Finsternis auf dem Umweg über seine Gedanken gesehen haben, doch zu mehr hatte es wohl nicht gereicht.
»Ich weiß es nicht«, wiederholte Hunter. »Aber er ist da. Ich spüre es ganz deutlich.«
»Im Haus?«
Hunter schüttelte den Kopf, schloß wieder die Augen und dachte jetzt intensiv an den Sumpf, in dem er beinahe versunken wäre.
»Das ist es!« schrie sie auf. »Das muß es sein! Du hast an den Sumpf gedacht.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Dorian Hunter. »Mach die Sache mit ihm allein ab. Ich kann nicht mehr.«
Sie wandte sich hastig ab, lief zur Tür, blieb jedoch plötzlich stehen, kam zu ihm zurück und sah ihn eindringlich an. »Hoffentlich willst du mich nicht noch einmal täuschen. Ich lasse alle Reisenden vor deinen Augen umbringen, wenn du mich belogen hast.«
»Du hast keine Gewalt mehr über mein Leben. Er wartet draußen auf mich. Laß mich allein. Ich habe nicht mehr sehr viel Zeit.«
Sie ging, doch sie schickte die vier Kannibalen ins Gewölbe, denn sie traute ihm nicht.
Die Ungeheuer
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