035 - Das Dorf der Kannibalen
Wimpel und Fahnen. Hinter dem Schloß erhoben sich wild zerklüftete Berge, die teilweise mit Tannenwald bedeckt waren. Sogar die Sonne, die er sich gewünscht hatte, ging gerade jetzt über einem schneebedeckten Gipfel auf.
Dorian änderte seinen Wunsch. Er sah jetzt vor seinem geistigen Auge ein modernes Sporthotel. Es kauerte sich an einem schneebedeckten Berghang. Dorian sah die Skilifte, eine Seilbahn und einen Hubschrauber, der hinter dem Berghotel erschien und ins Tal flog.
»Kehren wir zurück in die Realität, Eva.«
Sie ließ die Bilder verschwinden, und Dorian stand wieder dem unheimlichen Haus gegenüber. Aus einem noch intakten Schornstein quollen schwarze Rauchwolken. Sie führte ihn über eine verfallene Treppe ins Haus. Es gab nur rußgeschwärzte Mauern, von denen der Verputz in großen Fladen abgebröckelt war. Türen waren nicht vorhanden.
»Wo sind die Touristen?«
»Warte es ab! Das ist das Haus, in dem meine Vorfahren verbrannten. Man hat sie der Zauberei angeklagt. In diesem Haus sollen damals Menschen verschwunden sein.«
»Das ist doch nicht die ganze Wahrheit, Eva.«
»Man sagte damals, sie seien gefressen worden. Damals stimmte es nicht«, sagte sie, bevor er die entsprechende Frage stellen konnte. Sie hatte seine Gedanken selbstverständlich bereits mitbekommen. »Damals verbrannten auch die Ackerknechte. Man trieb sie im Haus zusammen, vernagelte die Türen und legte Feuer. Sie kamen alle um. Doch bevor sie verbrannten, tat ich einen Schwur.«
»Du bist ebenfalls verbrannt?«
»Ich bin unsterblich und kann nur von meinesgleichen getötet werden. Ich schwor damals, daß wir fortan Menschenfleisch essen würden. Und wir haben es getan und werden es immer wieder tun.«
»Ist das der Grund, warum die Schwarze Familie dich meidet?« Er versuchte, seine Abscheu vor ihr zu verbergen.
»Das ist der tiefere Grund«, räumte Eva ein. »Seit dieser Zeit bin ich ausgestoßen. Immer wieder habe ich versucht, Kontakt herzustellen, das kannst du mir glauben. Ich habe alle Hilfsgeister und Dämonen beschworen, doch die Antwort blieb aus. Aber du weißt, wie man sie beschwören kann. Eine glückliche Fügung hat unsere Wege sich kreuzen lassen. Ich werde dem Fürsten der Finsternis bald gegenübertreten, und er wird mir verzeihen.«
Dorian sah ihr an, daß sie im Augenblick geistesabwesend war. Sie dachte wohl sehr intensiv an diese kommende Begegnung, die für sie die Erfüllung bedeutete. Dorian konnte sich schnell ein paar eigene Gedanken gestatten. Er wußte, was sie plante. Sie dachte nicht im Traum daran, auf sein Angebot einzugehen, einen Pakt mit ihm zu schließen. Sie hatte ihn als Versöhnungsgeschenk für das Oberhaupt der Schwarzen Familie auserkoren.
»Es stimmt!« Eva wich ein paar Schritte zurück und starrte ihn haßerfüllt an. Sie war jetzt nur noch eine Hexe, die ihren Triumph auskostete.
»Du weißt also, was ich gedacht habe?«
»Du bist der Preis«, bestätigte sie ihm. »Und das Oberhaupt wird dieses Geschenk annehmen.«
»Bestimmt, falls der Kontakt hergestellt wird, Eva.« Er ließ sich nicht einschüchtern.
»Ich werde dich zwingen!«
»Dazu reicht deine Hypnosekraft nicht aus. Ich weiß mich zu wehren.«
»Wer redet denn von Hypnose!« Sie lächelte hämisch. »Auch einen Dämonenkiller wie dich weiß ich zu überreden.«
»Da bin ich aber gespannt.«
Eva klatschte in die Hände, worauf schleifende Schritte zu hören waren. Nacheinander erschienen vier Kahlköpfige, vier Scheusale, die langsam auf ihn zuschlichen, die bereits wußten, was sie zu tun hatten.
»Soll ich verspeist werden?« fragte Hunter. »Dann werde ich wohl kaum den gewünschten Kontakt herstellen können.«
»Wer redet von dir?« gab sie boshaft zurück. »Hast du die Bustouristen vergessen?«
Dorian ging auf, welches schreckliche Druckmittel sie in Händen hielt. Sie konnte das Leben der Reisenden gegen ihn ausspielen und wußte sicherlich bereits im voraus, daß sie seinen Widerstand damit brechen konnte. Jetzt half nur noch die schnelle Flucht.
Er warf sich herum und wollte hinaus ins Freie laufen, doch der Eingang war verschwunden. Eine zwar rissige, aber immerhin stabile Wand erhob sich vor ihm. Sie war natürlich ein Scheingebilde. Hunter rannte auf sie zu – und prallte gegen die harte Mauer. Er wurde zurückgeschleudert und rieb sich die Arme und den schmerzenden Oberkörper. Sie hatte ihm nicht nur diese harte Mauer vorgegaukelt, sondern zusätzlich auch noch Schmerzen. Ihre
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