035 - Das Dorf der Kannibalen
anzubieten.«
Er ging voraus, und die Touristen folgten ihm. Er führte sie in das Kaminzimmer, wo die Reisenden sich auf die Sitzgruppen verteilten. Nur der Fahrer des Busses blieb vorn am Empfang stehen. Er beugte sich über eine Straßenkarte und schüttelte immer wieder den Kopf.
»Ich begreife das nicht«, wandte er sich an den zurückkommenden Geschäftsführer. »Ich kann dieses Nest einfach nicht auf der Karte finden.«
»Bestimmt eine ältere Ausgabe«, meinte der Spitzohrige.
»Sie stammt aus diesem Jahr.«
»Dann muß Witchcraft auch eingezeichnet sein«, schaltete sich die junge Dame ein, die Dorian Hunter aus dem Badezimmer gerettet hatte. »Darf ich mal sehen?«
Der Fahrer reichte ihr die Karte und sah sie abwartend an. Sie brauchte im Gegensatz zu ihm nicht lange zu suchen und deutete mit dem kleinen Finger auf die Karte. »Witchcraft. Sie müssen die Einzeichnung übersehen haben.«
»Tatsächlich!« Er schüttelte irritiert den Kopf. Witchcraft lag südöstlich von Cambridge. »Wo kann ich telefonieren? Ich muß meine Firma verständigen, daß wir die Nacht über hierbleiben werden.«
»Soll ich diesen Anruf für Sie erledigen?« fragte der Geschäftsführer zuvorkommend. »Sie brauchen mir nur die Telefonnummer zu geben.«
»Nein, das mache ich lieber selbst. Wo ist die Telefonzelle?«
Der Geschäftsführer und die junge Dame vom Empfang tauschten heimlich einen Blick aus.
»Dort, hinter der Garderobe!« sagte die junge Frau. »Warten Sie auf das Freizeichen! Es kann einen Moment dauern.«
Der Busfahrer, ein untersetzter biederer Mann, nickte und ging zur Telefonzelle. Er ließ die Tür der engen Zelle einen Spaltbreit offen und wartete auf das Klingelzeichen. Erschrocken zuckte er zusammen, als die Tür zuschnappte. Er wollte sie wieder aufdrücken, doch sie schien verklemmt zu sein.
Der Busfahrer runzelte die Stirn und lehnte sich mit seinem Körpergewicht gegen die Tür, doch sie bewegte sich nicht. Er schaute durch die schmale Glasscheibe und versuchte sich bemerkbar zu machen, denn sowohl der Geschäftsführer als auch die junge Dame vom Empfang sahen zu ihm herüber. Sie wechselten ein paar Worte und lachten.
Der Busfahrer klopfte gegen die Glasscheibe und wurde ärgerlich. Er hatte keine Lust, in diesem engen Gefängnis zu schwitzen. Jawohl, es war heiß geworden in der Telefonzelle. Die Luft schien sich schnell zu verbrauchen. Der untersetzte Mann spürte Schweiß auf der Stirn. Wütend wollte er die kleine Glasscheibe mit dem Ellbogen aufstoßen.
Da senkte sich die Telefonzelle wie ein Fahrstuhl nach unten. Er spürte es ganz deutlich, schrie, gestikulierte wild und sah das rätselhafte Lächeln des Geschäftsführers und der jungen Frau, die jetzt langsam auf ihn zukamen. Die Augen des spitzohrigen Geschäftsführers leuchteten gierig.
Sie hieß Agatha Harmon und war eine liebenswerte, aber furchtbar wißbegierige Matrone von etwa fünfundsechzig Jahren. In ein sackartiges Tweedkostüm und derbe Schuhe gekleidet, kam sie lächelnd auf den Geschäftsführer zu.
»Ich habe schon die ganze Zeit darüber nachgedacht. Jetzt ist es mir wieder eingefallen. Ist Witchcraft nicht ein kleiner Wallfahrtsort?«
»Sehr wohl, Madame«, erwiderte der Geschäftsführer zuckersüß. »Aber das ist schon sehr lange her. Erstaunlich, daß Sie sich daran erinnern.«
»Ich wußte es doch!« Sie nickte erfreut. »Wurde hier nicht die heilige Ann verehrt?«
»Bis die Kirche abbrannte«, ließ sich die junge Dame vom Empfang vernehmen. »Aber wenn Sie sich dafür interessieren, Madame, kann ich Ihnen eine echte Überraschung versprechen.«
»Wie lieb von Ihnen!« Die alte Dame strahlte die junge Frau an.
»Der Seitentrakt des Motels steht auf den Gewölben der alten Gnadenkapelle. Die Wandmalereien sind erstaunlich gut erhalten. Wir pflegen sie selbstverständlich.«
»Könnte man sie sehen?«
»Nur zu gern! Aber im Augenblick ist niemand abkömmlich, um Sie zu führen. Das Personal richtet ja die Zimmer her.«
»Könnte ich allein gehen?«
»Sie werden den Weg nicht verfehlen«, warf der Geschäftsführer ein. »Ich werde Ihnen das Licht einschalten.«
Agatha Harmon folgte ihm. Sie glühte vor Begeisterung. Der Geschäftsführer öffnete eine Tür und deutete auf die Treppe in den Keller. Die Wände aus Bruchstein waren weiß gekalkt. Die alte Dame, die normalerweise ein wenig ängstlich war, hatte keine Bedenken, allein nach unten zu gehen.
»Sie können auch warten, bis wir eine
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