035 - Das Dorf der Kannibalen
ihn in einem Haus untergebracht hatte, das leicht zu bewachen war. Dafür gab es besondere Regeln.
Die dunklen Straßen waren leer; kein Bewohner des Dorfes war zu sehen oder zu hören. Ohne Ausnahme waren die Läden vor den Fenstern geschlossen; nicht eine Spur von Licht schimmerte durch die Ritzen im Holz. Dorian hatte plötzlich wieder dieses Gefühl von Kälte, wie bereits beim Betreten des Dorfes.
Während Hunter die Hauptstraße entlangging, blickte er sich immer wieder nach allen Seiten um. Er trat unwillkürlich leise auf und blieb dann erleichtert stehen. Licht!
Er ahnte, daß er auf der richtigen Spur war. Es handelte sich um eine Art Villa, die durch eine schmale Seitenstraße zu erreichen war und in einem Garten stand. Das Licht kam aus einem Fenster im Erdgeschoß und zerschnitt wie ein scharfes Messer die Dunkelheit. Dieses zweistöckige Landhaus mußte aus alten Zeiten stammen. Es besaß eine Vielzahl von Schornsteinen und kleinen Türmen.
Hunter duckte sich, sprang über einen niedrigen Holzzaun und fragte sich gleichzeitig, ob er dadurch nicht vielleicht schon ein elektronisches Signal ausgelöst hatte. Für eine Umkehr war es zu spät. Zudem wollte er endlich den O.I. sehen. Kein Angestellter des Secret Service sollte ihn daran hindern.
Er pirschte sich vorsichtig an das erleuchtete Fenster heran. Das Unkraut reichte ihm bis zu den Knien. Er blickte durch das Fenster, und seine Augen weiteten sich vor Überraschung. In dem kaum möblierten Zimmer saß Eva in einem exotischen Korbsessel mit überhoher Lehne. Sie hatte beide Hände vors Gesicht geschlagen und schien zu schlafen oder zu meditieren; dabei hatte sie sich zurückgelehnt.
Dorian war froh, sie zu sehen. Es gab da einige Dinge, über die er mit ihr reden mußte. Vor allen Dingen mußte sie ihm sagen, wo er Sullivan finden konnte. Er wollte gerade gegen die Scheibe klopfen, als er hinter sich ein Hecheln hörte. Er wandte sich um und sah sich einer riesigen Dogge gegenüber, die ihn soeben anspringen wollte. Blitzschnell duckte er sich und warf sich vor. Das Tier sprang über ihn hinweg und landete im Unkraut.
Eine zweite Dogge erschien wie ein Gespenst aus der Dunkelheit. Beide Tiere sahen mörderisch aus und erinnerten fast an Raubkatzen.
Dorian warf sich nach hinten und riß den rechten Fuß hoch. Knochen splitterten, als seine Schuhspitze den Unterkiefer der Dogge traf. Das Tier aber heulte nicht auf. Es gab keinen Laut von sich.
Er stand wieder auf den Beinen und wehrte den Angriff einer dritten Dogge ab. Er rammte ihr seinen Unterarm in den Rachen und schlug mit der Handkante auf die Schnauze des Tieres. Es gab keinen Ton von sich und ließ seinen Arm los. Dorian sah zu den beiden anderen Doggen hinüber. Sie standen dicht nebeneinander, fixierten ihn aus blutunterlaufenen Augen, wagten aber vorerst keinen weiteren Angriff.
Dorian merkte, daß er sich weit vom Fenster entfernt hatte. Er zog sich vorsichtig zum Zaun zurück, ließ die Tiere dabei aber nicht aus den Augen. Als er den Zaun überstiegen hatte, konnte er die drei Doggen nicht mehr sehen. Sie waren in der Dunkelheit verschwunden.
Das Licht hinter dem Fenster erlosch. Das Haus lag vor ihm wie ein dunkler Stein. Dorian rieb sich den Unterarm – bis er feststellte, daß er überhaupt nicht schmerzte. Er tastete seinen Ärmel ab, erwartete, daß er zerrissen war, und erlebte die nächste Überraschung. Der Ärmel war in Ordnung.
Hatte er mit Phantomen gekämpft? Existierte das Haus, das er gesehen hatte, vielleicht gar nicht?
Natürlich war es vorhanden. Er konnte es ja deutlich sehen. Und auch die drei Doggen waren Realität. In der Ferne war ihr Knurren zu hören, das leiser wurde und schließlich verstummte.
Am liebsten wäre Dorian erneut auf das Haus zugegangen, in dem er Eva gesehen hatte; eine innere Stimme warnte ihn jedoch. Das alte Mißtrauen war wieder da. Es gab zu viele Ungereimtheiten, für die er noch keine Erklärung hatte. Er untersuchte nochmals den Ärmel seines Jacketts. Warum hing der Stoff nicht in Fetzen herunter? Warum war ihm nichts passiert, obwohl er doch seine Dämonenbanner nicht mehr besaß?
Natürlich dachte er an die Schwarze Familie. Eva mußte ein Köder sein. Sicherlich warteten die Dämonen darauf, daß er zum Haus zurückkehrte.
Aber er war keineswegs so ahnungslos, wie es den Anschein hatte.
Für Morton Lister war es reine Routine. Er hatte gleich ihr zustimmendes Lächeln bemerkt, als sie für einen kurzen Moment in der
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