035 - Das Dorf der Kannibalen
Führung veranstalten«, meinte der Geschäftsführer, »aber dann werden Sie vielleicht nicht genug sehen.«
»Nein, nein. Die Wandmalereien möchte ich mir ganz allein ansehen«, gab sie zurück. »Vielen Dank! Sie sind sehr freundlich, Sir.«
Sie bemerkte das Lächeln auf den Lippen des Geschäftsführers nicht, als sie nach unten stieg. Die Luft war nicht kühl und modrig, sondern warm. Sie hatte sogar den Eindruck, daß es von Stufe zu Stufe heißer wurde.
Plötzlich ging das Licht aus.
Agatha blieb stehen und klammerte sich am Geländer fest. Tapfer kämpfte sie gegen ihre Angst an. Das Licht flammte nicht wieder auf. Agatha entschloß sich umzukehren.
Sie stieg die Stufen hinauf. Doch die Treppe wollte kein Ende nehmen. Längst hätte sie die Tür erreichen müssen. Sie blieb stehen, verschnaufte und rief sich zur Ordnung. Ihre Angst wurde größer. Was ging hier vor?
Innerlich wachsam, sich nach außen aber gelassen gebend, erschien Dorian Hunter in der Halle des Motels. Er hatte sich mit dem Diebstahl seiner Dämonenbanner abgefunden, wollte aber herausfinden, wer als Dieb in Betracht kam. Sein Mißtrauen war erwacht.
Er musterte den Geschäftsführer, der sich gerade mit einem rundlichen, kleinen, aufgekratzt wirkenden Mann unterhielt, der aus dem Kaminzimmer gekommen war. Dieser Mann schien zu den Touristen zu gehören. Seine Kleidung sah abenteuerlich bunt aus. Dorian hörte, daß der Tourist sich nach dem Telefon erkundigte.
»Die Leitung ist unterbrochen«, sagte der Geschäftsführer mit einem höflichen Lächeln. »Der Schaden wird innerhalb der nächsten Stunde behoben sein.«
»Ich muß aber telefonieren«, sagte der Tourist hartnäckig. »Meine Mutter macht sich Sorgen. Ich wohne bei ihr.«
»Ich bedauere außerordentlich, Sir.«
»Gibt es denn im Dorf kein Telefon?«
»Das gesamte Netz ist blockiert. Ich werde Sie sofort verständigen, wenn die Leitungen wieder in Ordnung sind.«
Der Mann ließ sich beruhigen und ging in das Kaminzimmer zurück. Der Geschäftsführer blickte Dorian erwartungsvoll an.
»Ich möchte Miß Eva sprechen«, sagte Hunter. »Wo kann ich sie erreichen?«
»Kann ich vielleicht etwas für Sie tun, Sir?«
»Kaum«, gab Hunter trocken zurück. »Es muß nun mal Miß Eva sein.«
»Sie wird auf ihrem Zimmer sein. Ich werde sofort anrufen, Sir.«
»Die Hausanschlüsse sind also noch in Ordnung?«
»Natürlich, Sir. Einen Moment, wenn ich bitten darf.«
Mit seltsam feierlichen, staksigen Schritten ging der Geschäftsführer zum Telefon und wählte eine Nummer. Er ließ durchläuten und hob bedauernd die Schultern. »Auf ihrem Zimmer ist sie nicht. Ich hörte, daß mit Ihrem Badezimmer etwas nicht ganz in Ordnung war, Sir.«
»Sie untertreiben. Mir kam es vor, als hätte man mich in einen Kessel gesteckt, um mich zu kochen.«
»Man hat Sie auch bestohlen, Sir?« Der Geschäftsführer senkte diskret die Stimme.
»Vielleicht habe ich mich geirrt«, antwortete Hunter ausweichend. »Reden wir nicht mehr darüber. Ich habe …« Er unterbrach sich und sah hinüber zum Eingang. Wieder war er sicher, hinter der Scheibe für einen Moment das Gesicht von Trevor Sullivan gesehen zu haben.
»Was haben Sie denn, Sir?«
Diesmal war ein Irrtum ausgeschlossen. Er hatte den O.I. gesehen.
Hunter riß die Tür auf und stürzte nach draußen. »Sullivan?«
Es war niemand zu sehen. Dorian lief links und rechts an der Hausfront entlang, blickte zu der Remise hinüber, die man zu Garagen umgestaltet hatte, und hoffte immer noch, daß Sullivan aus der Dunkelheit auftauchte. Als er sich zum Motel umdrehte, beschlich Dorian ein eigenartiges Gefühl. Von außen wirkte das Haus still und verlassen; das trübe Licht hinter den Scheiben hatte einen gelblich-rötlichen Schimmer. Bruchteile von Sekunden später schien das Haus jedoch wieder zu atmen und zu leben. Das Licht brannte hell, Tanzmusik war aus dem Festsaal zu hören.
In der Tür erschien der kahlköpfige Geschäftsführer. Er deutete eine Verbeugung an, trat zur Seite und schien nur darauf zu warten, daß Dorian wieder ins Haus zurückkehrte.
Hunter winkte kurz und ging dann ins Dorf hinunter. Zweimal hatte er jetzt Trevor Sullivan zu sehen geglaubt, zweimal hatte er sich getäuscht. Es wurde Zeit, den O. I. aufzusuchen. Dorian wußte ja immerhin ungefähr, wo er wohnte. Er wollte sich überzeugen, wo und wie Sullivan untergebracht war.
Vom festlichen Treiben unten im Dorf war nichts mehr zu hören. Nur noch wenige
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