035 - Das Wachsfigurenkabinett
verließ Dorian das Wachsfigurenkabinett und ging zu seinem Wagen. Irgend etwas störte ihn an dieser Madame Picard, die ja richtig Suzanne Fletcher hieß.
Er stieg in den Wagen und fuhr am Wachsfigurenkabinett vorbei. Das Haus war größer, als er angenommen hatte; es erstreckte sich fast bis zur Tyson Road und hatte einen zweiten Eingang in der Honor Oak Road. Vielleicht war es gar keine so schlechte Idee, das Haus einige Zeit beobachten zu lassen.
»Ich habe eine Aufgabe für Sie, Shorter«, sagte er. »Und auch für Sie, Murray.«
Die beiden Männer setzten sich.
Daniel Shorter war siebenundvierzig Jahre alt; ein verschlossener Mann, der immer einen bitteren Zug um den Mund hatte. Er war groß und kräftig, und Dorian hatte festgestellt, daß er unglaublich brutal vorgehen konnte. Und er schien keine Angst zu kennen; es war ihm egal, ob er einen schwierigen Auftrag überlebte oder nicht.
Ronny Murray war das genaue Gegenteil von Shorter; ein mittelgroßer junger Mann, der das Leben liebte und gern und oft lachte; ein fröhlicher Bursche von vierundzwanzig, mit langem, dunkelblondem Haar und weit auseinanderstehenden braunen Augen. Dorian hatte den Eindruck, daß Murray sein ganzes Geld für modische Kleidung ausgab.
»Ich möchte, daß Sie ein Haus beobachten und von allen Personen, die es betreten, Fotos machen.« Die beiden Männer nickten.
»Es handelt sich um das Wachsfigurenkabinett der Madame Picard«, sagte Dorian.
Shorter wurde plötzlich bleich und beugte sich angespannt vor.
»Das Wachsfigurenkabinett der Madame Picard?« fragte er und ballte die Hände zu Fäusten.
»Ja. Was haben Sie, Daniel?«
Shorter stieß rasselnd den Atem aus. Er schloß die Augen und seine Lippen bebten.
»Sie wissen es nicht, Dorian«, sagte er leise. »Ich erzählte es niemandem, aber …«
»Reden Sie, Daniel!« sagte Hunter sanft.
Shorter nickte und schluckte. »Vor mehr als vier Monaten war ich mit meiner Frau und meiner siebenjährigen Tochter in diesem Wachsfigurenkabinett. Als wir es verlassen wollten, kam die Besitzerin, diese Madame Picard, gerade aus einem Zimmer. Sie sah meine Tochter fasziniert an und bat mich, Susi modellieren zu dürfen. Meine Frau war begeistert, doch ich wollte nicht. Ich weiß nicht, wieso ich es ablehnte, aber die ausgestellten Figuren waren alle zu dilettantisch gewesen. Meine Frau lag mir danach die ganze Zeit in den Ohren, ich solle doch mit Susi hingehen, aber ich wollte nicht.«
Shorter schwieg und knetete seine Hände. Dorian wußte, daß dies nicht alles gewesen sein konnte. Shorter biß sich auf die Lippen und hob den Blick.« Sein Gesicht war verzerrt, als litte er Schmerzen.
»Und dann … Ja – eine Woche später verschwanden meine Frau und Susi spurlos. Sie tauchten seither nicht mehr auf.«
Jetzt wurde Dorian das teilweise seltsame Verhalten des Mannes klar.
»Und Sie glauben, daß Madame Picard etwas mit dem Verschwinden Ihrer Familie zu tun hat, Daniel?« fragte Dorian. Shorter schüttelte den Kopf. »Nein, das will ich damit nicht sagen. Doch die Erwähnung von Madame Picard brachte die Erinnerung wieder zurück und ich wollte alles vergessen.«
Dorian lehnte sich zurück. Kathy Boucher war ebenfalls spurlos verschwunden. Er überlegte, ob er Shorter und Murray von seiner Vermutung etwas erzählen sollte, ließ es dann aber sein. Er wollte nicht, daß Shorter vielleicht etwas Unüberlegtes tat, und das war bei ihm nicht ausgeschlossen.
Er instruierte Shorter und Murray genau, dann fuhren beide Männer los.
Während des Mittagessens unterhielt sich Dorian mit Coco über das Wachsfigurenkabinett. Das Mädchen hörte interessiert zu.
»Ich werde am Nachmittag vorbeisehen und mich mit Madame Picard unterhalten«, sagte das Mädchen.
»Und was versprichst du dir davon?« fragte Dorian.
»Nicht besonders viel«, sagte Coco, »aber ich möchte wissen, ob sie zur Schwarzen Familie gehört. Ich habe zwar den Großteil meiner Fähigkeiten verloren, aber mir doch einige erhalten. Und mein Besuch kann auf keinen Fall schaden, oder?«
Dorian schüttelte den Kopf. »Schaden kann er sicherlich nicht. Und unser einziger Anhaltspunkt ist dieses Wachsfigurenkabinett. Shorter und Murray beobachten es. Übrigens – wie verhält sich Phillip? Kleckst er noch immer herum?«
Coco nickte. »Ja. Er ist davon nicht abzubringen. Das Zimmer sieht entsetzlich aus. Es ist über und über mit schwarzem Lack beschmiert.«
»Wenn ich nur wüßte, was uns Phillip sagen
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