035 - Das Wachsfigurenkabinett
will«, meinte Dorian. »Es hat etwas mit dem Schatten zu tun, das ist mir klar, aber was will er uns speziell sagen? Ich werde mich nochmals mit dem Jungen unterhalten. Vielleicht bekomme ich doch etwas heraus.«
Bevor Coco antworten konnte, läutete das Telefon; Dorian hob ab. Der Observator Inquisitor, der Chef des Secret Service, war am Apparat. Er hörte schweigend zu, als ihm Dorian berichtete, was er unternommen hatte.
»Ich glaube auch, daß diese Madame Picard eine Rolle spielt«, sagte der O. I. schließlich. »Ich lasse alle Fälle untersuchen, wo plötzlich Personen verschwanden. Aber was Sie interessieren wird, Hunter.« Der Observator Inquisitor machte eine kurze Pause. »Der Leichnam Miriam Corbeys ist spurlos verschwunden.«
»Aber wie ist das möglich?« fragte Dorian überrascht.
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen«, meinte der O. I. »Heute morgen, als die Ärzte sich die Leiche nochmals vornehmen wollten, war sie spurlos verschwunden. Die Leichenkammer war abgesperrt gewesen. Ein Einbruch scheidet also aus. Da steckt mehr dahinter. Viel mehr.«
»Das glaube ich auch«, sagte Dorian nachdenklich. »Konnten Sie etwas über die Vampirfamilien feststellen?«
»Leider nicht. Sie sind auch spurlos verschwunden. Vielleicht war es doch unklug von Ihnen, gestern alle sechs Vampire zu töten. Vielleicht wäre es besser gewesen, einen leben zu lassen, dann hätten Sie unter Umständen mehr erfahren.«
Dorian biß sich auf die Lippen. Der O. I. hatte recht; er mußte noch viel lernen.
»Stimmt«, gab Dorian widerstrebend zu. »Das war ein Fehler, den ich in Zukunft nicht mehr machen werde.« »Kränken Sie sich nicht, Hunter!« sagte der O. I. lachend.
»Sie sind eben kein ausgebildeter Geheimagent, aber Sie werden es schon noch lernen. Beschäftigen Sie sich mit dem Wachsfigurenkabinett, aber keine Einzelaktionen, wenn ich bitten darf.«
»Coco möchte am Nachmittag vorbeisehen«, sagte Dorian. »Ich verspreche mir zwar nicht viel davon, aber es kann nichts schaden.«
»Dieser Meinung bin ich auch«, meinte der O. I. »Bis später, Hunter!«
Er legte auf.
Dorian sah Coco an.
»Du gehst wirklich zu brutal vor, Dorian«, sagte Coco. »Du mußt dich beherrschen.«
»Um Himmels willen!« brüllte Dorian. »Bitte, fang nicht auch du noch damit an. Ich weiß selbst, daß ich einen Fehler begangen habe. Die Vampire zu vernichten, war nicht besonders gescheit, aber jetzt ist es nicht mehr zu ändern.«
Sein Oberlippenbart sträubte sich. Es war besser, den Mund zu halten, sonst würde Dorian noch explodieren. Sie schwieg. Dorian steckte sich eine Zigarette an und rauchte hastig.
Nach einigen Zügen drückte er den Stummel aus und sprang auf. Coco folgte ihm. Dorian raste die Stufen hinauf zu Phillips Zimmer. Er öffnete die Tür und trat ein.
Der Hermaphrodit saß auf dem Bett und stierte eine Zeitung an. Dorian blieb stehen. Es war ein klarer Wintertag. Der Himmel war hellblau, und ein Sonnenstrahl fiel ins Zimmer. Phillip hatte gründliche Arbeit geleistet und das Zimmer fast völlig beschmiert.
Dorian kam näher. Coco hielt sich dicht hinter ihm.
»Phillip«, sagte Dorian und setzte sich neben den Jungen aufs Bett. »Ich will mit dir sprechen, Phillip.«
Doch der Junge hörte ihn nicht. Er pfiff vergnügt vor sich hin. Vor ihm lag die Zeitung. Der Junge griff danach und breitete sie aus. Er blätterte sie rasch durch, dann sah er Dorian an. Sein Mund verzog sich zu einem schwachen Lächeln, doch sofort wandte er sich wieder der Zeitung zu. Seine Finger huschten über das Blatt, und er lachte.
»Farbe«, sagte Phillip und starrte die Zeitungsseite an. »Farbe.«
Dorian warf Coco einen Blick zu. Sie nahm den Pinsel und die Lackdose und reichte sie dem Hermaphroditen.
Phillip stellte die Dose aufs Bett und tauchte den Pinsel in die Dose. Er rührte einmal um, zog den Pinsel dann heraus und bewegte die Hand leicht. Einige Tropfen fielen auf die Zeitung. Er bewegte die Hand stärker, und innerhalb einer Minute war die Zeitungsseite fast völlig mit schwarzen Punkten bedeckt. Nach zwei Minuten schob Phillip Dorian die Zeitung hin. Dorian ergriff die Zeitung und sah die Seite an. Es war nichts mehr zu lesen – außer einer Anzeige für ein Musical im Saville. Heute war Galapremiere.
»Was hältst du davon?« fragte Dorian und reichte Coco die Zeitung.
Sie studierte die Seite kurz, dann sah sie Dorian an. »Ich würde sagen, wir sollten hingehen. Ich glaube, daß uns Phillip einen Hinweis
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