035 - Wettlauf gegen die Zeit
Eine Lüge ist die Geschichte, sagt es selbst!«
Irgendjemand räusperte sich etwa einen halben Speerwurf weit entfernt. »Also, Haynz, hömazu…«, dröhnte Gleemenz' Bass aus der Dunkelheit. »Wudan meint, ich bin jetzt 'n Hauptmann, weil du so… weil du halt… na ja…« Wieder räusperte Gleemenz sich. »Jedenfalls rückste jetz den Vogel raus un dann isses jut…«
»Was willst du?! Den Eisenvogel willst du?! Hat der gute Haynz da auch richtig verstanden?! Mein kleiner Bruder will den Eisenvogel des Hauptmanns von Dysdoor?!« Seine Stimme hallte von den Ruinen und dem nächtlichen Wald am Ufer zurück. Keiner der anderen Männer sprach ein Wort, auf Gleemenz' Flößen nicht und auf Haynz' Seite nicht.
»Na ja, is meiner, weißte? Wudan hatt'n mir halt jeschenkt, beziehungsmäßig sein Bote, de mitte Augegläser… Komm, lass jut sein, Haynzie, rück de Eisenvogel raus…«
»Verräter!«, brüllte Haynz. Er drückte auf den Auslöser.
Ratatatata… Das Eisengewitter dröhnte über den nächtlichen Fluss.
»Hier kriegst du schon mal einen Vorschuss! Ratatatata!«
Schatten glitten von den nur noch zwanzig, dreißig Speerlängen entfernten Flößen. Schlagartig erloschen dort sämtliche Fackeln.
Gleemenz' Anhänger hatten sich in die eiskalten Fluten gestürzt. Überall Geplätscher, überall Schreie. Haynz' Daumen verkrampfte sich geradezu über dem Feuerknopf. Ratatatata…
Er hatte keine Ahnung, wohin er schoss, was oder wen er traf allein dieses Ratatatata zu hören erleichterte seine angestaute Wut. Nacheinander flammten Fackeln auf, erst auf Haynz' Floß, dann auf denen hinter ihm. Endlich ließ Haynz den Auslöseknopf für das Schießgerät los. »Prächtig, nicht wahr, kleiner Bruder?«, höhnte er.
»Du willst doch nicht noch mehr von dem Eisenvogel? Noch mehr willst du doch etwa nicht…?«
Gleemenz lag bäuchlings auf den Holzbohlen. Nur noch fünfzehn Schritte entfernt trieb er auf Haynz' Floß zu. Man konnte gut erkennen, dass sein Brustkorb sich sehr rasch ausdehnte und zusammenzog der Schrecken musste ihm wohl in alle Glieder gefahren sein. Haynz aber krähte vor Vergnügen. Auch seine Männer schlugen sich auf die Schenkel und lachten laut.
Langsam richtete Gleemenz sich auf. Er blieb zunächst in der Hocke und griff hinter sich.
Dort lag etwas, das Haynz nicht erkennen konnte. Gleemenz zog sich ein seltsames Ding über den Kahlschädel und bis zu den Augen hinunter es erinnerte an die Gläser des angeblichen Götterboten, nur war es viel größer und dunkel.
»Was hast du da, Gleemenz, du lascher Frekkeuscher-Pimmel?!«, fragte Haynz misstrauisch. »Was du da hast, will dein großer Bruder wissen!«
Ein metallenes Geräusch erklang, ein Klicken, und dann richtete Gleemenz sich auf und hielt eine große Flamme vor seiner Brust. Sie zischte bissig und war so hell, dass Haynz geblendet die Augen schloss. Seine Getreuen aber schrien entsetzt auf und flüchteten sich auf die Nachbarflöße oder sprangen einfach ins Wasser. Panik schnürte Haynz den Hals zu, und presste jeden Rest von Verstand aus seinem Schädel. Er drückte einfach auf den Knopf.
Ratatata…
Gleemenz zuckte zwar zusammen, streckte aber beharrlich dem Eisenvogel die gleißende Flamme entgegen, als wäre sie ein Speer, ein Schwert oder Weiß-Wudan-was. Vermutlich hatte er längst gemerkt, dass die Geschosse weit an ihm vorbei pfiffen.
»Dreht das Floß!«, kreischte Haynz. »Das Floß drehen, sag ich, sonst treff ich ihn nicht!« Ein Ruck ging durch den Eisenvogel, ein hölzerner Schlag aus der Dunkelheit die beiden Flöße waren zusammengestoßen. Haynz sah seinen Bruder mit der stechenden Flamme in der Hand direkt vor der Schnauze des Eisenvogels. Seine Hand am Steuerknüppel zitterte.
Ratatatata…
»Stirb, Bastard! Stirb und fahr zu Orguudoo…!«
Ratatacktickikikik… klick… klick…
Kein Schuss löste sich mehr aus dem linken Flügel.
»Was ist das?«, flüsterte Haynz. »Mein liebes Schießding, warum sagst du nichts mehr…«
»Scheißpech, wa? Vafluchtes Scheißpech.« Gleemenz ging mit seiner scheußlichen Flamme um die rechte Tragfläche herum. »Siehstema, wie Wudan mich gern hat.«
Haynz fing am ganzen Körper zu zittern an. Schützend hielt er die Hände vor die Augen.
Die grelle Flamme warf Gleemenz' Schatten riesengroß auf das Floß.
»Wenn du Hauptmann werden willst von mir aus!«, krächzte Haynz. »Wenn du unbedingt willst, nix dagegen, sag ich, nix dagegen, ehrlich…«
Rechts und
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