0351 - Zwei Schwerter gegen die Hölle
Bruder?«
»Weißt du nicht, daß wir verwandt sind? Denk an deine Herkunft, denk daran, wer die Eltern und die Erschaffer sind. Das alles solltest du nicht vergessen.«
»Ich habe es vergessen.«
»Das glaube ich dir nicht«, erwiderte der echte Engel. »Man kann seine Herkunft nicht verdrängen. Du bist mein Bruder, aber wir sind verschiedene Wege gegangen. Ich ahnte, daß es einmal so kommen würde und die anderen ihren letzten großen Trumpf ziehen. Du bist es, Bruder, doch ich sorge dafür, daß dieser Trumpf nicht sticht. Verstanden?«
»Du hast laut genug gesprochen. Wobei ich mir nicht sicher bin, daß du es schaffst. Du kennst die Macht und die Kraft, mit der man auch mich ausgerüstet hat. Wir beide besitzen fast die gleichen Kräfte. Sind also gleichstark und sollten uns lieber zusammenschließen, als gegeneinander zu kämpfen.«
Ich hörte genau zu. Das waren ja regelrechte Friedensangebote aus dem Mund des falschen Engels.
Würde der echte darauf eingehen?
Seine nächsten Worte bewiesen mir, auf welcher Seite er stand.
»Nein!« hörte ich ihn. »Es gibt zwischen uns keinen Kompromiß, das weißt du. Wir stehen auf verschiedenen Seiten, die sich seit Urzeiten schon bekämpfen. Gut und Böse sind wie Feuer und Wasser, beides paßt nicht zusammen, wie du ebenfalls weißt.«
»Dann willst du nur eines?«
»Ja«, erwiderte der echte Engel. »Hier und jetzt will ich die Entscheidung. Wenn du nicht feige bist, dann stell dich endlich. Einer von uns ist zuviel.«
Ich kannte den Eisernen Engel schon lange. Er war immer wieder in harte Kämpfe verwickelt gewesen, aber im Prinzip war er eine friedliche Person. Er haßte die Gewalt, eigentlich wie jeder normale Mensch sie hassen mußte, manchmal allerdings gab es Situationen, die eben ein solches Eingreifen erforderlich machten, um eine noch größere Eskalation abzuwenden. Wenn hier die Entscheidung getroffen wurde, hatte die andere Seite eine Niederlage bekommen, von der sie sich nur schwerlich erholen würde.
Gespannt wartete ich ab. Und auch meine beiden Begleiter erschienen an der Tür, um in die Leichenhalle zu schauen. Ich sah den Kopf des Jungen Ali, der sich uns angeschlossen hatte. Ich mochte den elternlosen Waisen, nur Laila war er suspekt, aber dieses Halbblut konnte ich noch in den übrigen Problemkreis mit einbeziehen.
Obwohl ich ihr quasi das Leben gerettet hatte, war sie längst nicht meine Partnerin. Sie würde versuchen, wenn es eben möglich war, mir eine Niederlage beizubringen.
Jetzt stand sie zwischen den Fronten…
Auch ich wartete.
Keiner der beiden griff zuerst an. Jeder belauerte den anderen, und mir schien es, als wollten sie gemeinsam die Defensivtaktik fortsetzen. Matt glänzten ihre Schwerter. Das des echten Engels war dem Guten geweiht, um gegen das Böse anzugehen. Dennoch glaubte ich fest daran, daß in dem falschen Eisernen die gleiche Kraft steckte.
Und plötzlich bewegten sie sich.
Es ging so schnell, daß die beiden selbst mich, der ich damit gerechnet hatte, überraschten. Ihre Bewegungen waren fließend, sie gingen ineinander über. Es war schon bemerkenswert, daß beide so schnell und wendig waren.
Dann hörte ich das Klirren. Hell klang dieses Geräusch durch die Leichenhalle, als beide Schwerter gegeneinander schlugen. Ich sah die lange Spur der Funken, die in die Höhe flog und einen blitzenden Halbkreis bildete. Beide Gestalten schienen für einen Moment eins zu werden, bevor sie sich für die Dauer weniger Sekunden gegenüberstanden und die Klingen Kontakt bekamen.
Dann stießen sie sich ab.
Beide flogen zurück. Der falsche Engel bis gegen die Wand, vor deren Mauerwerk er krachte. Der andere erreichte fast die offene Tür, konnte sich abfangen und gleichzeitig drehen.
In Kampfhaltung blieb er stehen.
Der falsche kam.
Und er war schnell. Seine gleitenden Schritte konnte ich kaum mit den Augen verfolgen. Sein Schwert zuckte durch die Luft. Er schlug von einer Seite auf die andere, ich hörte das wilde Fauchen, dann prallten die Klingen wieder zusammen.
Der echte wehrte die Attacke ab.
Mit zwei Hieben hatte er den anderen auf Distanz gebracht, so daß er selbst zum Angriff übergehen konnte. Wie ein geschickter Degenfechter stieß der echte seine Waffe nach vorn. Sie war so gezielt, daß sie den Gegner in Höhe der Gürtellinie treffen mußte, und ich sah im Geiste auch schon das Schwert durch den Körper fahren, als sich der falsche Engel gedankenschnell abdrehte, so daß ihn die Klinge verfehlte
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