0354 - Gruft der wimmernden Seelen
sie auf die Reise, in der Hoffnung, daß der Würfel auch ihn weiterleitete.
»Ich bin Lilith!«
Mehr sagte die Stimme nicht. Es reichte allerdings aus, um Jane erschrecken zu lassen.
Lilith! Ausgerechnet sie warnte die ehemalige Detektivin vor dem Spuk. Das Wort Spuk hatte Jane schon beim ersten Kontakt erfahren, nur nichts darüber gesagt.
Lilith schien recht zu haben. Sie hatte es gut mit ihr gemeint, so rechnete Jane, denn sie wußte auch, daß die Hölle und der Spuk nicht gerade auf gutem Fuß miteinander standen.
»Ja!« flüsterte Jane, »ich höre auf dich. Ich werde diesen Raum verlassen und mich verstecken.« Sie stand sehr schnell auf, denn sie hatte das Gefühl, daß ihr nicht viel Zeit blieb. Sehr lange würde der Pater wohl nicht fortbleiben, denn ihre Gegner waren nahe, dafür hatte sie inzwischen eine sensible Ader bekommen.
Trotz ihrer Eile schaffte sie es, die Beine langsam zu bewegen.
Nur kleine Schritte machte sie, und sie hoffte darauf, von den anderen nicht gehört zu werden.
Das lange Kleid, schon mehr ein Nachtgewand, schleifte über den Boden. Es war zwar kein dünner oder durchsichtiger Stoff, dennoch viel zu kalt für die Jahreszeit, wenn man sich wie Jane in kühlen Klostergängen herumtreiben mußte.
Das Versteck sollte in der Tiefe liegen, hatte ihr Lilith gesagt.
Weshalb hatte man ihr denn nicht zur Flucht geraten? War der Ratschlag der Großen Mutter vielleicht eine doppelte Täuschung? Sollte sie zweimal reingelegt werden?
Als sich Jane mit dieser Folgerung beschäftigte, wußte sie überhaupt nicht mehr, was sie noch machen sollte. Sie stand einfach da und lehnte sich an die Wand. So etwas ging über ihre Kräfte. Diesen Doppelplan konnte sie nicht durchschauen.
Tief atmete sie durch.
Nein, es gab keine andere Chance für sie. Jane mußte den Befehlen der Großen Mutter folgen, sonst lief sie in eine Sackgasse, und auf Pater Ignatius wollte sie sich plötzlich nicht mehr verlassen.
Überall lauerten die Feinde – überall…
Sie konnten tausend unsichtbare Augen haben, in alle Ecken schauen, vielleicht sogar durch Wände und Mauern.
Es waren schlimme Gedanken, mit denen sich Jane Collins beschäftigte und die davon zeugten, welch eine Angst in ihr steckte.
Sie würde auch nicht abnehmen, das war ihr längst klargeworden, und einen Ausweg sah sie leider nicht. Sie hatte das Schicksal zu tragen, und sie würde es tragen müssen, koste es, was es wolle.
Hätte Jane noch ein normales menschliches Herz gehabt, es hätte sicherlich doppelt oder dreifach so stark geschlagen. Da dies nicht der Fall war, beschränkten sich ihre Gefühle auf die heißen Ströme, die durch ihren Körper tosten.
Sie fand den Gang leer. Es gab ihr ein wenig Hoffnung, so daß sie aufatmen konnte, und sie drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand.
Hier fühlte sie sich zwar nicht geborgen, dennoch relativ sicher.
Einige Sekunden blieb sie in dieser Haltung stehen und dachte über den Lageplan der einzelnen Räume nach, die sie während ihres Aufenthaltes schon kennengelernt hatte.
Ihr fiel wieder der Begriff von der Gruft der wimmernden Seelen ein. So schaurig sich dies anhörte, die Gruft übte trotz allem eine gewisse Faszination auf die Detektivin aus. Wenn es ihr gelang, sie zu erreichen, mußte sich dort alles entscheiden.
Aber wo lag die Gruft?
Jane hatte nie den innerhalb des Berges liegenden Teil des Klosters betreten. Sie hatte nicht einmal danach gefragt, aber sie wußte genau, wo es in diese Region ging.
Da existierte eine große Bohlentür, und dahinter begannen die Stufen, die in die Keller führten.
Auch die Vorratsräume lagen dort. So manches Mal hatte der Koch schon Dinge für die Küche geholt.
Den Weg schlug Jane ein.
Sie bemühte sich dabei, auf Zehenspitzen zu laufen, was nicht so einfach war, aber sie hielt durch und tauchte schließlich in das Dämmer eines schmalen Ganges ein.
Der Keller besaß kein elektrisches Licht. Damit man trotzdem was erkennen konnte, dafür sorgten die Kerzen, die an gewissen Stellen nebst Zündhölzern bereitlagen.
Jane Collins fand eine solche Nische. Den Würfel brauchte sie nicht mehr zu halten. Pater Ignatius hatte ihr vor einigen Tagen einen Gurt gegeben, den sie in Hüfthöhe um den Körper schlingen konnte. Der Gurt besaß so etwas wie eine offene Tragetasche, in die Jane den Würfel des Unheils hineinstellen konnte, so daß sie die Hände freihatte.
Erst jetzt stellte sie richtig fest, wie groß die Hilfe war, die man ihr
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