0354 - Gruft der wimmernden Seelen
gegeben hatte.
Sie zündete eine der dicken Kerzen an. Auf einem Tonteller stand sie und besaß auch einen kleinen Glasaufsatz, der die Flamme schützte. So ausgerüstet, näherte sich die ehemalige Hexe der Tür, die verschlossen war.
Für einen Moment blieb sie noch stehen. Es war ein endgültiger Schritt, der vor ihr lag, und davor zuckte die Detektivin ein wenig zurück. Schließlich riß sie sich zusammen, tastete nach der Klinke und freute sich darüber, daß sie den Griff lautlos nach unten drücken konnte.
Jetzt war die Tür offen.
Jane schob sich durch den Spalt. Zuerst streckte sie den Arm vor.
Die Kerze brannte unter dem Zylinder sehr ruhig. Dennoch erschienen an den dicken Steinwänden flackernde Schatten, die mit ihren Ausläufern bis an die über Jane liegende, leicht gerundete Decke reichten und dort ein Zickzack-Muster bildeten.
Es begleitete sie auch, als sie die breiten Steinstufen in die Tiefe des Kellers schritt.
Mit jeder Stufe, die sie hinter sich ließ, nahm auch die Kälte zu.
Jane begann zu frösteln, Schauer rannen über ihren Rücken, und die Schatten unter der Decke verwischten allmählich, weil die Entfernung zwischen ihnen und der Kerze sich ständig vergrößerte.
Es gab auch ein Geländer. Der Handlauf bestand aus Metall, war kalt und feucht zugleich.
Schritt für Schritt näherte sich die Detektivin dem Ende der Treppe. Sie lief in einem Bogen aus und wurde im letzten Drittel noch breiter.
Jane fand sich schließlich in einem Kellerraum wieder, von dem zwei Gänge abzweigten.
Für einen von ihnen mußte sie sich entscheiden, und sie dachte auch darüber nach.
Der linke Gang endete vor einer verschlossenen Tür. Beim rechten war es nicht anders.
Sie entschied sich für den linken. Schon auf dem Weg dorthin wußte sie, daß sie den falschen genommen hatte, denn ein typischer Geruch drang ihr entgegen.
Es roch nach Obst und Gemüse.
Nein, sie war falsch. Hinter der vor ihr liegenden Tür mußten sich die Vorratsräume befinden.
Also der rechte.
Ihre Knie zitterten mit den tanzenden Schatten um die Wette, als sie ihn durchschritt. Jane hatte das Gefühl, dicht vor ihrem eigenen Grab zu stehen.
Von einer Gruft war gesprochen worden.
Existierte diese Gruft hier?
Sie hatte den Pater nie danach gefragt, denn sie wußte, daß es im sehr großen Innenhof des Klosters auch einen Friedhof gab, wo die Mönche ihre Toten begruben.
Eigentlich brauchten sie keine Gruft.
Die Tür zu diesem Teil des Kellers war ein wenig kleiner als die des Vorratsraumes, aber sie war auch nicht abgeschlossen.
Behutsam zog Jane sie auf und schob sich in das Innere dieses unheimlichen Gewölbes.
Auch hier erhellte der Kerzenschein den kalten Raum. Es war nicht allein die normale Kälte, die ihn durchdrang, sondern auch die Kälte des Todes.
Das spürte Jane sofort.
Unwillkürlich zog sie den Kopf ein, als könnte sie sich vor dem hier Unbekannten schützen. Sie entdeckte noch eine kleine Treppe, die aus fünf Stufen bestand.
Sie mußten noch überwunden werden, um einen Durchgang zu erreichen, der praktisch die Grenze zu der eigentlichen Gruft bildete, in die Jane hineinwollte.
Keine Tür versperrte ihr mehr den Weg. Sie hatte freie Bahn. Zögernd setzte sie die nächsten Schritte, sah den feuchten Film auf der Treppe und ließ sie vorsichtig hinter sich.
Dann war sie am Ziel.
Jane stand vor der letzten Stufe und schaute in die sogenannte Gruft der wimmernden Seelen.
Und plötzlich bekam sie Angst…
***
Pater Ignatius war ein Mann, der es im Prinzip ablehnte zu lügen.
Natürlich konnte auch er sich davon nicht freisprechen, doch wenn es eben möglich war, wollte er eine Lüge vermeiden, aber in der Lage, in der er sich momentan befand, gab es einfach keinen anderen Weg.
Hier mußte er lügen!
Es war schwer genug für ihn, mit dieser Tatsache fertig zu werden, doch John Sinclair hatte ihm Tatsachen mitgeteilt, die er noch als unfaßbar und unbegreiflich ansah.
Suko ein Verräter?
Bewiesen war nichts. Gründe zu dieser Annahme gab es schließlich genug.
Der Abt, in dessen Büro das einzige Telefon des Klosters stand, schaute Pater Ignatius verwundert an. »Was hast du, Bruder?« fragte er. »Schlechte Nachrichten?«
Ignatius erwiderte den Blick. Er hatte ein offenes ehrliches Gesicht, sein Haar war grau und schütter geworden. »Ja, es sind keine guten Nachrichten, die mich aus London erreicht haben.«
»Hängt es mit deinem Besucher zusammen?« erkundigte sich der Abt mit
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