0354 - Gruft der wimmernden Seelen
nach hinten gedrückt, in den Augen leuchtete unverhohlen der Triumph. Niemand konnte ihm jetzt noch etwas anhaben. Er hatte gewonnen.
Nein, nicht er, es war der Spuk!
Jane sah ihn nicht, Jane spürte ihn nur, und sie vernahm die Stimme, die das in der Gruft wohnende unsichtbare Grauen noch durch Worte verstärkte. »Ich habe den Satan wieder zurückgeschlagen. Er wird keine Tricks mehr versuchen. Der Weg ist frei für dich, Suko, denn ich gewähre dir Schutz. Gib genau acht!«
Der Inspektor und auch Jane hatten die Worte verstanden. Beide waren gespannt.
Sukos Blick blieb auf Jane Collins fixiert. Er sah, daß sie ihren Standort gewechselt hatte, schüttelte den Kopf und flüsterte: »Das wird dir auch nichts nützen…«
Nein, es nutzte ihr nichts, denn sie mußte zuschauen, wie das Grauen allmählich Gestalt annahm.
Es drang aus den Ritzen im Mauerwerk.
Der Satan hatte es sich zu leicht vorgestellt und war praktisch durch andere erschienen. Der Spuk jedoch nahm die Dinge selbst in die Hand. Er sah seinen Diener in Gefahr, und er, der als Wolke auftrat, änderte auch diesmal sein Aussehen nicht.
Er quoll durch die Lücken.
Plötzlich sah Jane den schwachen, grauschwarzen Dunst, der aussah wie zahlreiche aneinandergelegte Fäden, die zunächst dünn, dann immer dicker werdend, durch die Mauerritzen quollen. Mit bloßem Auge waren sie nicht zu entdecken. Man hätte schon mit der Lupe hinschauen müssen, um sie überhaupt sehen zu können.
Der Spuk fand seinen Weg.
Lange, dunkle, wolkenartige Arme, manchmal zitternd, dann wieder gekräuselt, drangen durch die haarfeinen Spalten und verteilten sich innerhalb der Gruft. Schon bald hatten sie den Raum mit ihrem zittrigen Nebel belegt, der die Umrisse der Wände und auch der Särge für menschliche Augen verschwimmen ließ.
Und diese seltsamen Wolken, nur ein Teil des Spuks, aber mit seinen Kräften versehen, sorgten dafür, daß sich Suko, der Chinese, wohlfühlen konnte.
Jane hatte das Gefühl, als wäre ihr ein Teil der Luft geraubt worden, und sie spürte bereits das Zittern in den Beinen, das auf einen ersten Schwächeanfall hindeutete.
Und dann vernahm sie die Stimme. Den Sprecher konnte sie nirgendwo entdecken. Die Worte drangen wie das leise Zischen einer Gasflasche aus den hauchzarten, schwarzgrauen, feinen Wolkenstreifen, die ihre Kreise zogen.
»Nimm den Würfel, Suko. Nie war die Gelegenheit so günstig. Nimm ihn und komm zu mir. Ich werde dich schützen. Ich werde dich…«
»Ja!« sagte der Inspektor. »Ja…«
Dann ging er vor.
Einen zweiten Anlauf hatte er schon genommen, und wieder sah sich Jane Collins in die Defensive gedrängt. Diesmal würde ihr keiner helfen, der Teufel war zurückgeschlagen, und sie schaute in der Düsternis des Kellers auf Suko, dessen Gesicht ein falsches Grinsen zeigte.
Nur die kleine Bleistiftleuchte gab Licht. Ihr Schein fiel dicht neben Jane gegen die Wand und malte dort einen winzigen Kreis.
Suko kam näher.
Was sollte sie noch tun?
Jede Faser ihres Körpers schrie nach einer Lösung, nach Flucht, nach Weglaufen aus dieser verdammten Misere, aber sie würde es nicht schaffen, das war sicher.
Sie besaß den Würfel!
Genau in diesem Moment hatte Jane das Gefühl, als wären da Hände, die einen Vorhang wegrissen, der zuvor ihr logisches Denken behindert hatte. Sie hatte den Würfel.
Das war es doch !
Der Würfel war ein Zwitter. Man konnte ihn manipulieren. Er gehorchte dem Guten ebenso wie dem Bösen. Eine Waffe der Vernichtung in der Hand eines Dämons, aber eine positive Kraft in den Händen eines Menschen, der das Gute wollte.
Eine Waffe der Vernichtung. Genau das wollte der Detektivin nicht aus dem Kopf.
Und sie dachte daran, daß sie den Würfel schon in Aktion gesehen hatte. Daß er unter anderem etwas produzieren konnte, vor dem man zurückwich.
Es hatte einen Namen.
Todesnebel!
Ein gefährliches, wolkenartiges Gift, das, wenn es mit einem menschlichen Körper in Berührung kam, wie eine grausame und ätzende Säure wirkte, denn es löste das Fleisch von den Knochen.
Nur so konnte sich Jane wehren.
Sicher, der Würfel besaß noch andere Kräfte. Man hätte sie locken müssen, aber Jane kannte eben nur, als sehr starke Waffe diesen gefährlichen, alles zerfressenden Nebel.
Sollte sie ihn einsetzen? Dazu noch gegen Suko, der eigentlich ein Freund von ihr war.
Aber jetzt wollte er sie töten!
Jane schaute ihn an, wie er näherkam. Ein unheimlicher, drohender Schatten, und in ihrem
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