0357 - Die Treppe der Qualen
waren verschwunden.
Zurück blieben vier Steine, die allmählich ihre intensive Farbe verloren und Minuten später wieder normal aussahen…
***
Ich aber erlebte einen Magiestoß, wie ich ihn selten zuvorkennengelernt hatte.
Wehren konnte ich mich dagegen nicht, denn die Planke schloß fugendicht mit der Treppenstufe ab. Damit war auch der Kreislauf geschlossen, und ich erlebte die atlantische Magie der Qualentreppe.
Es waren zunächst Ströme, die mich packten. Ein seltsames Kribbeln, das in meinen Füßen begann und sehr schnell hochstieg, so daß es auch den Kopf erreichte.
Meine Denkkraft, meine Fähigkeit, irgend etwas auszuloten, auch meine Reaktionen wurden auf ein Minimum zurückgeschraubt.
Sosehr ich mich auch anstrengte, ich schaffte es einfach nicht mehr, mich zu bewegen und blieb auf dem Fleck stehen.
Dazu direkt neben der Stelle, die das Gesicht meines Freundes Mandra Korab zeigte.
Es blieb ruhig, beinahe gelassen, obwohl sich der Schrecken in seinen Zügen manifestiert hatte. Bisher hatte ich noch nichts Außergewöhnliches gespürt, wenn ich mal davon absah, daß es mir schwerfiel, mich auf der Treppe zurechtzufinden.
Ich hatte die Lücke geschlossen und bekam allmählich das Gefühl, auch in die Treppe integriert zu werden. Dazu erklang Mandras Stimme, die mir ebenfalls keine Hoffnung machte.
»Ich hatte dich gewarnt, John Sinclair, ich hatte dich gewarnt. Was jetzt folgt, hast du dir selbst zuzuschreiben. Du hättest mich vernichten sollen, so aber wirst du getötet. Die Treppe findet immer ihre Opfer, immer…«
Vielleicht hatte Mandra sogar recht, aber ich hatte nicht vor, ein Opfer der Qualentreppe zu werden. Man tat mir auch nichts, man hielt mich nur auf diese beklemmende Art und Weise fest, aber dafür geschah etwas auf der Treppe.
Ihre Stufen veränderten sich.
Es lag nicht allein am Schein der blutroten Sonnenstrahlen, die nach wie vor schleierartig die Stufen bedeckten, die Gefahr kam aus dem Innern der Treppe und griff auf die Stufen über.
Gesichter erschienen.
Im ersten Augenblick glaubte ich, mich versehen zu haben. Es konnte auch Einbildung sein, meine Nerven waren ziemlich angespannt. Nach genauerem Hinsehen wußte ich allerdings, daß mich mein Blick nicht getrügt hatte. Die Gesichter waren tatsächlich vorhanden.
Und dies auf eine schauerliche Art und Weise. So etwas hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen.
Obwohl es menschliche Gesichter waren, kannte ich sie nicht. Mir unbekannte Personen waren in der Treppe gefangen gehalten worden und zeigten sich in allen Stadien der Verwesung.
Es begann über mir, wo die Treppe ihren Anfang nahm. Auf den obersten Stufen sahen die sich im Gestein abzeichnenden Gesichter noch normal aus. Jeweils vier Gesichter fanden auf einer Stufe Platz.
Sie ließen nur die Stufe aus, auf der ich stand.
Wenn meine Bewegungen auch eingeschlafen waren, gelang es mir dennoch, den Kopf zu drehen und in Richtung Strand zu schauen.
So konnte ich den Weg der Gesichter verfolgen und auch – was mich am meisten schockierte –, das Stadium ihrer Verwesung.
Es war fürchterlich.
Je weiter die Treppe nach unten führte, um so mehr änderten sich die leichenblassen Fratzen.
Auf der zweiten Stufe waren sie schon anders. Da spannte sich bereits die Haut über die Knochen, und auch die Augen schienen meiner Ansicht nach tiefer in den Höhlen zu liegen.
Die dritte Stufe zeigte bereits eine stärkere Veränderung. Ich sah es an den Lippen, die, in die Breite gezogen, wie zwei dickliche Gummibänder wirkten. Auch traten die Wangenknochen noch schärfer hervor. Im Licht der letzten Sonnenstrahlen schimmerten sie, wie mit Blut übergossen. Je mehr sich die Gesichter meiner Stufe »näherten«, um so schauriger wurde ihr Anblick.
Kurz vor mir waren aus ihnen bereits Physiognomien des Schreckens geworden.
Da sah ich die Knochen durch die dünne Haut schimmern, die an einigen Stellen weggeplatzt war. Sie wirkten wie Zombies, die eine Weile im Grab gelegen hatten und von einem schlimmen Voodoo-Zauber erweckt worden waren. Lappige Haut, zerrissene Lippen, auch am Kinn, das nur aus weißlichen Knochen bestand.
Einfach scheußlich…
Die Stufe, auf der ich stand, wurde ausgelassen. Vielleicht war der Grund Mandra. Ich würde es bald erfahren.
Ich schaute in Richtung Ufer. Dabei mußte ich den Kopf senken, um nicht von den tiefstehenden Sonnenstrahlen geblendet zu werden, auch ihr letztes Aufbäumen gegen die heranrückende Nacht tat meinen Augen nicht
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