0357 - Die Treppe der Qualen
konnte.
Ich wäre diesem weißen Skelett gern entgegengelaufen, das schaffte ich nicht. Die Kraft der Qualentreppe hielt mich weiterhin fest in ihren Klauen und bannte mich auf der Stufe.
Tief holte ich Luft.
Alle anderen Gedanken hatte ich ausgeschaltet oder zur Seite gedrängt. Mich interessierte allein das schreckliche Skelett, das seinen Knochenkörper bereits zur Hälfte aus der Treppe geschoben hatte, immer höher stieg, mich dabei anblickte und in einer fast erschreckenden Lautlosigkeit sein Gefängnis verließ.
Was konnte es von mir wollen?
Mandra hatte davon gesprochen, daß es mich unter Umständen töten wollte.
Wenn ja, wo lag der Grund? Ich hatte bisher von Macha Rothaar, der Königin im Land der Gesichtslosen, noch nie etwas gehört.
Dieses Wesen war vergangen, bevor Atlantis unterging. Mit den Großen Alten hatte es auch nichts zu tun gehabt. Was also wollte es von mir?
Ich hoffte, daß ich es bald erfahren würde und schaute weiterhin zu, wie der weiße knöcherne Körper auch das letzte Hindernis überwand und auf der Stufe stand.
Er drehte sich mir zu.
Und ich spürte an meinen Füßen die Kraft, die mich auf der Qualentreppe gebannt hielt. Zwar konnte ich meine Arme bewegen, aber ich traute mich in dieser Situation nicht, beide Hände dem Skelett entgegenzustrecken. Und ich zog auch keine Waffe. Das Kreuz, die Beretta und den Dolch, der Mandra gehörte, ließ ich ebenso in Ruhe, sie hätten mir wahrscheinlich nicht geholfen.
Schon oft genug hatte ich erlebt, daß es mir möglich war, mich mit Wesen zu unterhalten, die Tausende von Jahren zählten. Irgendwie schaffte es die Magie, Sprachbarrieren zu überbrücken. Darüber nachgedacht hatte ich noch nicht. Mich interessierte auch nur der weißglänzende Knochenkörper, der seinen Schädel noch ein wenig drehte, so daß er mir direkt ins Gesicht blicken konnte.
Ich übernahm die Gesprächsführung. Das geschah in dem Augenblick, als die Sonne völlig verschwand, sich die Dunkelheit schlagartig überdas Land legte und nur mehr die in den Stufen der Martertreppe eingeschlossenen Gestalten leuchteten.
Ihr fahles Licht reichte aus, um die Umgebung in einen geisterhaften Schein zu tauchen.
»Du bist Macha Rothaar, die Königin der Gesichtslosen?« fragte ich sie sicherheitshalber.
Sie verstand mich, denn der Knochenschädel deutete ein Nicken an.
»Weshalb bist du zurückgekehrt?«
Nach dieser Frage gab sie mir zum erstenmal eine akustische Antwort. »Es mußte sein, denn die Zeit war längst überfällig. Die Treppe der Qualen ist jetzt ausgefüllt. Du hast das letzte Stück gebracht. Es war die Planke mit dem Gesicht. Jetzt endlich sind wir erlöst!«
»Wir?« hakte ich nach.
»Ja, meine Untertanen und ich, die wir so lange schon in der Treppe darben. Die Zeit ist da. Noch irrt mein Geist umher, damit er sich einen weiteren Körper sucht…«
»Dann seid ihr also getrennt?«
»Das ist richtig. Wir sind getrennt. Mein Körper befand sich in der Treppe, mein Geist aber suchte sich stets neue Gastkörper, und er hat in der sehr langen Zeit viele gefunden, das kann ich dir versprechen. Aber nicht alle Körper gefielen mir. Aus den meisten bin ich sofort wieder herausgegangen. Kaum einer war würdig, eine Königin von Atlantis zu beherbergen. Bis ich den Körper eines Mädchens fand, hineingelangte und so lange blieb, bis das Mädchen ermordet wurde. Dadurch war es mir auch gelungen, der Kraft des mächtigen Dämons Kataya zu entkommen. Ich wurde wieder selbständig, im Gegensatz zu meinen Dienern. Aber dieses Mädchen wurde getötet, ebenso wie ich damals getötet wurde, und wieder war jemand in der Nähe, den ich sehr gut kenne und der auch ein Freund von dir ist.«
»Du meinst den Magier?«
»Ich rede von Myxin, denn kein anderer als er hat mich damals ermordet. Er überlebte, den Schwarzen Tod konnte er auch nicht besiegen, wie ich es vorhergesagt habe, aber ich vergaß nichts. Ich vergaß vor allen Dingen ihn nicht, denn in mir brannte die Rache. Myxin ist mein Feind, und seine Freunde sind meine Feinde. Ich zähle dich dazu.«
So etwas Ähnliches hatte ich mir schon gedacht, aber ich wollte wenigstens Mandra Korab aus dem Spiel haben. »Du hast einen Gefangenen hier. Es ist Mandra Korab. Er gehört nicht in diese Treppe. Nur die Kraft deines Feindes Kataya hat dafür gesorgt. Bitte, tu mir einen Gefallen und laß ihn wenigstens frei. Er hat dir nichts getan.«
»Aber er füllte die Treppe aus.«
»Ja!« rief ich. »Sicher.
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