0366 - Er kam aus der Tiefe
Parapsychologe.
»Ich wurde nachdenklich«, sagte Wang. »Ich habe die Hölle kennengelernt. Und ich weiß, daß sie niemanden los läßt. Es gibt keinen Verrat, nur den Tod. Leonardo wird mich nicht freigeben. Ich will aber nicht meine Liebe wiedergefunden haben, um dafür ermordet zu werden. Was hätte es für einen Sinn?«
Überrascht sah Zamorra ihn an. Er entdeckte einen ganz neuen Wang Lee neben sich. Einen nachdenklichen Wang Lee.
»Ich habe bisher geschwiegen«, sagte er. »Ich bin ein vorsichtiger Mensch, deshalb lebe ich immer noch. Ich fühle mich noch nicht in der Lage, Leonardo entgegenzutreten und die Rücknahme meines Eides zu fordern.«
»Du sitzt jetzt also zwischen zwei Stühlen«, sagte Zamorra.
»Ich bin häufig auf der Erde unter den Menschen, im Auftrag des Fürsten der Finsternis«, sagte Wang. »Ich werde Zeit und Gelegenheit haben, Su Ling zu sehen und vorübergehend mit ihr zusammen zu sein, so lange, bis die Zeit reif ist, einen Schlußstrich zu ziehen. Vorher kann ich mich nicht von Leonardo lösen.«
»Sollen Nicole oder ich es Ling sagen?« fragte Zamorra.
Der Mongole schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Das will ich selbst tun. Das bin ich ihr schuldig. Aber sie wird verstehen, daß ich nur langsam eine Änderung herbeiführen kann. Ich bin zu tief in das Höllische verstrickt.«
Zamorra nickte. Als Leibwächter und Berater des Fürsten der Finsternis gehörte Wang zum innersten Kreis der Höllenhierarchie. Dabei war er mit Sicherheit nicht endgültig dem Bösen verfallen. Sicher, er diente seinem Herrn - aber er hatte nie seine eigenen Prinzipien verraten. Er war kein Verbrecher, kein Killer. Er kämpfte fair. Schon mehrmals hatte er die Chance gehabt, Zamorra, den Erzfeind der Hölle, zu töten - und darauf verzichtet, weil Zamorra in diesen Momenten wehrlos war und sich nicht verteidigen konnte. Das war nur eines der Beispiele. Zamorra schätzte, daß Wang Lee eine gute Chance hatte, sich von der Hölle zu lösen und sich auf die Seite der positiven Mächte zu stellen.
Wenn sie ihn in den Schwefelklüften gehen ließen…
»Von Ghet-Scheng aus kehrte ich zu Leonardo zurück«, sagte Wang. »Ich schwieg, aber ich bin mir nicht sicher, ob er nicht etwas ahnt. Denn ich bin ein guter Schwertkämpfer, aber ein schlechter Schauspieler. Auf jeden Fall sandte er mich hierher, nach Ash’Cant.«
Er grinste. »Ich sollte Sara Moon einfangen und zu Leonardo in die Hölle schaffen.«
»Zum Teufel«, knurrte Zamorra doppeldeutig. »Ich glaube, daß ich dich vorher erschlagen werde. Denselben Auftrag habe ich nämlich auch -nur mit anderem Bestimmungsort.«
»Caermardhin«, vermutete Wang. »Man hört, daß Merlin unter einem schweren Zauber liegt, den niemand lösen kann außer seiner Tochter.«
Zamorra nickte.
»Und das möchte Leonardo verhindern«, sagte Wang. »Ihm kann es nur lieb sein, wenn Merlin ausgeschaltet bleibt. Also muß die einzige, die ihn wecken könnte, verschwinden, und das ist eben Sara Moon. Leonardo brachte in Erfahrung, daß sie sich derzeit hier in Ash’Cant aufhält, in diesem Teil der Nebelwelt, und sandte mich los, sie zu entführen. Wie ich das anstelle, bleibt mir überlassen. Nun, ich erfuhr, daß sie sich im Palast eingenistet hatte, und bewarb mich als Gardist. Aufgrund meiner sattsam bekannten Gewandtheit mit dem Schwert wurde ich sofort Offizier. Tja, und da bin ich nun.«
»Ich dachte schon, du hättest bei deiner alten Firma gekündigt und dir deshalb hier einen neuen Job gesucht. Unsere Interessen kollidieren ein wenig. Mir geht es darum, Sara auf jeden Fall nach Caermardhin zu bringen. Wir wollen versuchen, sie aus dem Bann des Bösen zu lösen.«
»Und Leonardo möchte die Bande fester knüpfen«, sagte er. »Sie paktiert oder paktierte einst mit den MÄCHTIGEN. Leonardo möchte von ihr mehr über diese Kreaturen erfahren. Das ist ein weiterer Grund.«
Zamorra zuckte mit den Schultern. »Es ist grotesk«, sagte er. »Wir stehen auf verschiedenen Seiten. Wir haben unterschiedliche Aufträge. Wir müßten uns eigentlich bekämpfen bis aufs Messer. Und statt dessen reiten wir einträchtig nebeneinander her und plaudern gemütlich miteinander.«
»Wer weiß, wie oft uns das noch vergönnt ist«, sagte Wang. »Wir werden Sara Moon gemeinsam jagen, gemeinsam fangen, und wenn wir sie haben, prügeln wir uns darum, wer sie mit nach Hause nimmt, ja?«
Zamorra grinste.
»So können wir es halten«, sagte er. »Wer hätte noch vor einem
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