0367 - Schreckenstag
Felsens und dieser alten Magie der stummen Götter.
In meinem Hals hatte sich ein trockenes Gefühl ausgebreitet. Davon war mir nichts gesagt worden. Unwillkürlich warf ich einen Blick der halbrunden Decke entgegen, aber es zeigte sich kein Gesicht wie draußen, als ich noch in der Schlucht stand.
Dennoch war ich der Kontrolle des stummen Gottes nicht entwichen, da ich wieder seine Stimme vernahm.
»John Sinclair, du hast das Glück gehabt, die Göttermagie sehen zu dürfen. Du bist so etwas wie ein Entdecker. Jeder, der diese Höhle betritt, die nicht für Menschen gemacht worden ist, wird Erfolg haben müssen, da es sonst keinen Rückweg mehr gibt. Hast du keinen Erfolg, bleibst du für alle Zeiten im Stein eingeschlossen. Dann ergeht es dir wie uns, und du wirst erst befreit werden können, wenn auch das letzte Mitglied der Großen Alten vernichtet wurde.«
»Und das ist wahr?«
»Die stummen Götter haben es nicht nötig, die Unwahrheit zu sprechen. Wir sind keine Menschen…«
Ich hob die Schultern. Mehr konnte ich nicht erwidern. Er hatte ja recht. Nur Menschen logen, um ihre Vorteile herauszuholen.
Ich hatte mittlerweile den ersten Schock überwunden. Zum Erfolg war ich also verdammt worden. Eine harte Sache, eine verdammt harte und unmenschliche sogar. Erlaubte ich mir eine Niederlage, konnte ich es bis in alle Ewigkeiten büßen.
Plötzlich wurde mir der Magen zu eng. Schweiß strömte aus allen Poren, und erst jetzt spürte ich die Hitze, die in dem Berg lauerte.
Ich ging weiter. Nach vorn schauen, nicht mehr zurück und nicht mehr an die Schrecken erinnert werden. Nur auf das Ziel konzentriert sein, das allein zählte.
Überrascht weiteten sich meine Augen. Was ich vor mir sah, war wiederum so gut wie unglaublich, denn der Tunnel hatte plötzlich sein Ende gefunden.
Das rote Licht hatte mehr Fülle bekommen. Es war breiter, größer und auch höher geworden.
Aus all diesen Maßen resultierte die große Grotte inmitten des Felsens.
Ich ging einige tappende Schritte auf sie zu, räusperte mich und stellte fest, daß die Luft allmählich klarer wurde und die Schleier innerhalb der Höhle verschwanden.
Es klärte sich.
Freies Schauen für mich.
Nein, die Höhle war nicht leer. Jemand hatte mitten in ihr auf mich gewartet.
Er lag auf einem steinernen Bett oder Lager. Dabei sah er aus wie tot, und ich wußte auch nicht, ob er mit dem Leben abgeschlossen hatte oder noch existierte.
Auf jeden Fall kannte ich ihn.
Es war der Eiserne Engel!
***
Von dem stummen Gott hatte ich ja erfahren, was mit dem Engel passiert war. Daß er sich hatte zum Sterben hinlegen wollen. Das war nun geschehen, und trotzdem konnte ich es nicht fassen. Ich wollte nicht, daß er vernichtet war, denn ich verdankte ihm mein Leben. So einen Tod hatte er nicht verdient.
Bisher hatte ich nicht diese Angst gespürt, wie sie mich plötzlich überfiel, als ich mich dem Engel näherte. In meinen Knien spürte ich das Zittern, auf der Hautfläche lag Schweiß, das Herz schlug wesentlich schneller, und ich überlegte jetzt schon, wie ich reagieren würde, wenn ich tatsächlich einem Toten gegenüberstand.
Wahrscheinlich überhaupt nicht.
Je näher ich dem Lager aus Stein kam, um so unwohler wurde mir. Aber ich mußte mich den Tatsachen stellen. Hier konnte ich nichts verdrängen oder abwehren.
Der Eiserne lag auf dem Rücken. Durch das Licht hatte seine Gestalt einen rötlichen Schimmer bekommen, der das normale Grau überdeckte. Mein Blick glitt sofort an seine linke Seite, wo ich den Griff des Schwertes aus der Scheide ragen sah.
Die Waffe besaß er also noch. Nur, was nutzte sie ihm, wenn er seine Existenz aufgegeben hatte?
Ich kniete mich neben ihn. Selbst diese Bewegung führte ich langsam durch. Wenn ich mich zu schnell bewegte, hatte ich stets das Gefühl, die ehrfürchtige Stille im Innern des Berges zu stören.
Einen flüchtigen Gedanken verschwendete ich auch an den Würfel und das Kreuz. Beide Dinge waren für mich sehr wichtig, im Augenblick jedoch zählte allein der Eiserne Engel.
Noch hatte ich ihn nicht berührt. Mein Blick glitt über sein Gesicht. Ich suchte nach Anzeichen von Leben in den Zügen. Sosehr ich auch schaute, ich fand keines.
Wie eine Statue lag die große Gestalt auf dem Rücken.
Hatte sie sich verändert? War der Eiserne durch die seelische Qual auch körperlich gezeichnet worden? Mir fiel im ersten Augenblick nichts auf. Weiterhin blieben seine Gesichtszüge so grau, so ausdruckslos und
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