037 - Die Kamikaze-Monster
Mary-Jane nach. »Laß den Jungen in Ruhe.«
»In Ruhe lassen soll ich diesen Mistkerl? Der kann was erleben!«
»Er wird schon zur Vernunft kommen.«
»Ja, und ich bleue ihm sie ein. Er ist noch nicht alt genug, um von mir keine Tracht Prügel zu beziehen.« John Fulton erreichte das Obergeschoß. Er stürmte auf die Tür zu, die in Charles’ Zimmer führte.
Zornig stieß er die Tür auf.
Charles stand mit nacktem Oberkörper da.
»John!« rief Mary-Jane verzweifelt. »John, ich bitte dich, tu ihm nichts.« Sie kannte ihren Mann. Wenn der in Rage war, konnte es eine Katastrophe geben.
Sie begab sich nun auch nach oben.
»Sag mal, was sind denn das für Manieren?« schrie John Fulton seinen Sohn an. »Hast du den Verstand verloren? Wie behandelst du denn deine Eltern? Ich verlange mehr Respekt.«
Charles zog die Mundwinkel verächtlich nach unten. »Respekt? Ich respektiere keinen alten, schwachen Mann.«
Es blitzte in John Fultons dunklen Augen. »Wie nennst du mich? Einen alten, schwachen Mann? Ich bin immer noch stark genug, um dich so zu verprügeln, daß du mindestens drei Tage Bettruhe brauchst! Du wußtest, daß uns Tucker Peckinpah zum Dinner eingeladen hatte. Die ganze Familie! Warum bist du nicht gekommen?«
»Ich war verhindert.«
»Was war so wichtig, daß du uns diese Blamage antun mußtest?«
»Alles ist wichtiger als Tucker Peckinpah, als du, als Mary-Jane, als Myrtle…«
»Dir werde ich zeigen…!«
»John!« schrie Mary-Jane in der Tür. »Charles!«
Ihr Mann, ihr Sohn – sie gingen aufeinander los. Das hatte es noch nie gegeben. Charles schien tatsächlich nicht bei Sinnen zu sein. Sein Gesicht verzog sich zu einem grausamen Grinsen, und plötzlich geschah mit ihm etwas Entsetzliches.
Mary-Jane kreischte auf und griff fassungslos an die Schläfen. Sie wurde mit dem absoluten Horror konfrontiert.
Auch John Fulton prallte zurück. »Charles!« preßte er bestürzt hervor. Die Haut des Jungen hatte sich in Sekundenschnelle verändert, war braun und rissig geworden. Und durch die Brust bohrte sich ein roter Wurm. Fingerdick mit schwarzem Maul und rasiermesserscharfen Zähnen.
Charles röchelte schaurig.
Er ging seinem Vater entgegen, der wie vom Donner gerührt dastand. Der Schock lähmte John Fulton. Er wollte zurückweichen, doch seine Beine gehorchten nicht.
»Jooohn!« schrie Mary-Jane.
Er hörte es, reagierte aber nicht. Charles erreichte ihn. Er breitete die Arme aus, schlang sie um seinen Vater und preßte ihn fest an sich. Der Wurm an seiner Brust befand sich nun genau zwischen ihnen. Der Mann brüllte wie am Spieß, doch Charles ließ ihn nicht mehr los, konnte ihn nicht loslassen.
Charles wankte auf einmal. Sein Vater war mit ihm unzertrennlich durch den Wurm verbunden.
So wie die Biene, die stirbt, wenn sie sticht, so starb auch Charles – gemeinsam mit seinem Vater brach er zusammen.
***
Ich wollte Vicky Bonney mitnehmen, aber Tucker Peckinpah riet mir davon ab. Er sagte, was mich im Haus der Fultons erwarte, wäre ein furchtbarer Anblick, den ich Vicky lieber ersparen solle.
Also fuhr ich allein los. Als ich das Haus erreichte, stand Peckinpahs silbermetallicfarbener Rolls-Royce davor.
Der Industrielle öffnete mir bleich. Etwas vermißte ich an ihm – die für gewöhnlich unvermeidliche Zigarre. Er hatte in dieser Situation darauf verzichtet, und das hieß für mich, daß es diesmal ganz dick gekommen war.
Im Salon saßen Mary-Jane Fulton und ihre Tochter Myrtle. Sie hielten sich umschlungen, zitterten und weinten. Bei ihrem Anblick krampfte sich mein Herz zusammen.
»Wo…?« sagte ich zu Tucker Peckinpah.
Der sechzigjährige, leicht rundliche Mann mit dem stark gelichteten Haar antwortete heiser: »Oben. Machen Sie sich auf etwas gefaßt, Tony.«
Wir stiegen nebeneinander die Treppe hinauf. Jede Stufe, die ich zurücklegte, brachte mich dem, was alle so sehr geschockt hatte, einen Schritt näher. Ich wußte nicht, was mich dort oben erwartete.
Der Industrielle hatte es mir am Telefon nicht gesagt.
»Diese Tür«, sagte mein Partner.
Ich öffnete sie, und obwohl ich darauf vorbereitet gewesen war, drehte es mir im selben Augenblick den Magen um.
Die beiden Körper schienen miteinander verschmolzen zu sein.
Auch die Gesichter. Es gab zwischen den beiden Toten eine rote Verbindung.
»Was ist das?« fragte ich.
»Ein… Wurm«, sagte hinter mir Tucker Peckinpah.
»Ein… Wurm?«
»Das behauptet Mary-Jane. Er drang durch die Haut des Jungen, hatte
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