037 - Die seltsame Gräfin
haben hier eine hübsche Stellung, Miss Reddle«, sagte Praye. »Sicher werden Sie mit der Gräfin gut auskommen. Waren Sie schon einmal bei der Bühne?«
»Nein«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln, als sie sich an die Warnung des alten Mackenzie erinnerte.
»Schade. Sie müßten sich prächtig auf der Bühne ausnehmen«, plauderte er weiter. »Sie haben die Haltung, die Gestalt, die Stimme und alles, was man sonst noch braucht. Ich bin ein paar Jahre an einem Lustspieltheater gewesen - es ist ein Hundeleben für einen Mann und nicht viel besser für eine Frau.«
Er lachte laut, als ob irgendein Witz in seinen Worten stecke. Lois war erstaunt, daß die Gräfin sein freies und vorlautes Wesen nicht rügte, da es kaum mit seiner Stellung vereinbar schien.
»Ich würde gern zur Bühne gehen.«
Der schweigsame Lord Moron hatte das gesagt, und seine Stimme hatte einen mürrischen Unterton. Es war, als ob ein kleiner Junge nach etwas fragte, das ihm schon versagt worden war.
Die Gräfin wandte ihre dunklen, unfreundlichen Augen ihrem Sohn zu. »Du wirst niemals zur Bühne gehen, Selwyn«, sagte sie bestimmt. »Bitte, schlage dir diesen Unsinn aus dem Kopf.«
Lord Moron spielte mit seiner Uhrkette und bewegte die Füße unbehaglich hin und her. Lois schätzte ihn auf fünfundzwanzig bis dreißig Jahre und vermutete, daß er nicht verheiratet war. Sie hatte den Verdacht, daß er vielleicht an Geistesschwäche litt. Später erfuhr sie, daß er nur ein Mensch mit wenig Energie war, der ganz unter der Herrschaft seiner Mutter stand. Er hatte einen ruhigen, harmlosen und einfachen Charakter.
»Das ist nichts für dich, Junge«, sagte Mr. Chesney Praye und klopfte ihm so stark auf die Schulter, daß Lord Moron stöhnte. »Es gibt eine ganze Menge anderer Beschäftigungen für dich, nicht wahr, Gräfin?«
Sie antwortete ihm nicht. Sie stand an dem großen Schiebefenster und schaute auf den Platz hinunter. Jetzt wandte sie sich um, nahm ihre Lorgnette und hob sie an die Augen. »Wer ist dieser Herr?« fragte sie.
Chesney Praye blickte hinunter, und Lois bemerkte, daß sein Mund zuckte und sein Gesicht blaß wurde.
»Verdammt!« sagte er leise. Die Gräfin wandte sich langsam um und sah ihn forschend an.
»Wer ist es?« fragte sie noch einmal.
»Das ist der geschickteste Mann in London - ich meine Detektiv. Ich würde tausend Pfund geben, wenn ich an seiner Beerdigung teilnehmen könnte. Er hat eine Abneigung gegen mich -«
Er hielt ein, als ob er zuviel gesagt hätte. Lois sah über seine Schulter hinab zu dem Mann, der langsam die Straße entlangging.
Es war Michael Dorn!
9
»Ein Detektiv?« fragte Lady Moron. »Ich wüßte wirklich nicht, warum Sie sich über Detektive zu ärgern brauchten, Chesney. Sie sind hoffentlich kein Verbrecher?«
»Natürlich bin ich das nicht«, erwiderte er schroff, fast grob, »aber ich hasse diesen Burschen. Er heißt Dorn -Michael Dorn. Er ist der einzige Privatdetektiv in England, der etwas taugt. Sie ziehen ihn sogar in Scotland Yard zu Beratungen hinzu, sie halten dort sehr viel von ihm. Er war der Mann, der die Razzia im Limbo-Klub organisierte, und er versuchte mich, als einen der Besitzer, für schuldig zu erklären. Aber da hatte er sich getäuscht.«
Michael Dorn war jetzt außer Sehweite gekommen, und das Mädchen war dankbar, daß sich das Interesse dieser Menschen so auf ihn konzentrierte, daß man sie nicht beachtete, sonst hätte sie ihre Bekanntschaft mit ihm verraten.
Ein Detektiv!
»Dieser Kerl ist frech wie der Teufel«, fuhr Chesney Praye fort und wiederholte dabei unbewußt Lizzys Worte. »Er ist skrupellos und würde seine eigene Tante einbuchten, um sie zu überführen. Er war Polizeikommissar in Indien, gab aber diesen Posten auf und nahm sich eines afrikanischen Millionärs an, der einige Dokumente verloren hatte und ihm für die Wiederbeschaffung ein Vermögen bezahlte - das ist wenigstens das, was ich über ihn weiß.«
Was für ein Mann war Chesney Praye, daß er eine solche Sprache in Gegenwart der vornehmen Gräfin führen durfte? Lois hatte von Männern und Frauen gehört, die eine so gefestigte Stellung im Haushalt des hohen Adels einnahmen, daß sie familiär mit den Leuten sprechen durften, die sie bezahlten. Sie nahm an, daß dies ein solcher Fall war.
Aber Lord Moron protestierte.
»Ich liebe das Wort ›einbuchten‹ nicht«, sagte er aufgeregt. »So gemeine Ausdrücke gebraucht man in Gegenwart einer Dame nicht! Haben Sie
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