037 - Die seltsame Gräfin
Stellung bei mir haben?« Ohne auf ihre Antwort zu warten, fuhr er fort: »Nun gut, Sie können wieder kommen. Ich werde Ihnen drei Pfund wöchentlich geben. Morgen früh um halb neun fangen Sie wieder an.«
Er legte auf die letzten Worte besonderen Nachdruck.
»Aber Mr. Shaddles«, sagte das verwirrte Mädchen, »es ist sehr liebenswürdig von Ihnen - äußerst liebenswürdig -, ich würde ja gar zu gern wieder bei Ihnen eintreten, aber morgen früh geht es noch nicht.«
»Um halb neun Uhr morgen früh sind Sie hier. Halten Sie mich jetzt nicht auf, ich habe es eilig.«
Er stieg in den Wagen, und sie sah ihm nach, bis er in dem starken Verkehr der Theobald Street verschwand.
Sie war von der Großzügigkeit ihres Chefs so verblüfft, daß sie Lizzy zuerst das erzählte.
»In den beiden letzten Tagen benimmt er sich ganz merkwürdig«, erwiderte Lizzy. »Wenn er nur nicht an Gehirnerweichung leidet. Hat er nicht auch etwas davon gesagt, daß er mein Gehalt erhöhen will? Aber ich würde mich an deiner Stelle nicht soviel darum kümmern. Morgen hat er wahrscheinlich die ganze Sache vergessen. Drei Pfund wöchentlich - der Mann ist ja verrückt. Ich wette, morgen kommt er im Pyjama ins Büro, spielt Trompete und hält sich für Julius Cäsar.«
Die männlichen Angestellten waren gegangen, nur Lizzy war noch im Büro. Sie war zurückgeblieben, um einen unendlich langen Vertragsentwurf zu schreiben. Aber nachdem sie Lois' Erzählung gehört hatte, schrieb sie ihn an diesem Tage nicht mehr fertig.
»Ich denke, Mike hat recht«, sagte sie und bekräftigte ihre Worte mit einem energischen Kopfnicken. »Das ganze Haus steckt voller Tricks. Ich kann mich an den Gedanken, Selwyn zu verlassen, nicht gewöhnen -«
»Meinst du Lord Moron?«
»Für mich ist er nur Selwyn«, erwiderte Lizzy ruhig. »Ich gehe morgen abend mit ihm ins Kino. Er ist doch ein zu netter Junge. Weißt du, was ihm am meisten fehlt? Die liebende Sorge seiner Mutter. Er hat so etwas nie kennengelernt.«
»Ach so - und du willst seine Mutter sein?« Lois mußte lachen, aber dann sagte sie ernst: »Ich kann nicht gleich fort. Du kannst ja tun, was du willst, aber ich versprach Lady Moron, daß ich noch diese Nacht bleiben würde.«
Lizzy war unangenehm überrascht.
»Ich lasse dich nicht im Stich, aber ich sage dir gerade ins Gesicht, daß ich lieber auf dem Dach einer Leichenhalle in einem Friedhof schlafe, als heute abend am Chester Square. Ich werde mit dir hingehen, aber ich tue es nur deinetwegen - merke es dir genau. Wenn mir jemand anders die Geschichte mit den drei Pfund wöchentlich erzählt hätte, wüßte ich, daß er mich angelogen hätte. Was sagst du dazu, daß wir nun wieder in die Charlotte Street zurückkommen und wieder arme Kirchenmäuse sind?«
Lois war sehr froh, daß sie den Abend wieder in ihrer alten Wohnung verbringen konnte. Nichts hätte sie mehr gefreut. Das alte Zimmer mit den einfachen, ja ärmlichen Möbeln, den verblichenen Kattunbezügen, war ihre Heimat, und selbst das laute Geschrei der auf der Straße spielenden Kinder klang Lois heute angenehm. Früher hatte sie das alles nicht bemerkt. Und dann wurde sie auch noch ganz besonders willkommen geheißen. Der alte Mackenzie sah sie ins Haus gehen und kam sofort heraus, um sie zu begrüßen. Er war ganz empört, als er hörte, daß die Mädchen die Nacht nicht im Haus bleiben wollten. Aber er beruhigte sich wieder, als Lizzy ihm ihre weiteren Pläne auseinandersetzte.
»Wir wollen ihn zum Abendessen einladen«, sagte Lois, als sie auf dem Küchentisch saß und zusah, wie ihre Freundin mit der Bratpfanne hantierte.
Lizzy nickte nur. Sie war mit ihren Gedanken nicht recht bei der Sache.
»Wenn ich es mir nur eher überlegt hätte, dann hätte ich Selwyn eingeladen, der wäre sicher gekommen - er hat eine ganz demokratische Gesinnung, er ist absolut nicht hochmütig. Als du gestern abend hinausgingst, um dir ein Taschentuch zu holen, gestand er mir, daß er sich in meiner Gesellschaft sehr wohl fühle und daß ich das erste Mädchen sei, das ihm gefalle. Da gehört doch was dazu, wenn ein wirklicher Lord so etwas sagt. Und dabei weiß er ganz genau, daß ich ein einfaches Schreibmädel mit fünfunddreißig Shilling wöchentlich bin!«
Ihre Stimme zitterte ein wenig, und Lois betrachtete sie plötzlich mit ganz anderen Augen. Sie kannte Lizzy doch schon seit einigen Jahren, aber sie war bisher noch nie gefühlvoll gewesen.
»Der arme Junge hat noch nie erfahren,
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