037 - Die seltsame Gräfin
wie wohl die Fürsorge einer Mutter tut«, sagte sie wieder bewegt.
Lois erwiderte nichts, obgleich dieser arme Junge mindestens achtundzwanzig Jahre zählte.
»Dieses Weib hat nicht mehr Mitgefühl mit Selwyn als ich mit ihr. Sie muß ein Herz von Stein haben, sie ist -«
»Mr. Mackenzie wird allerdings nur ein schlechter Ersatz für deinen Selwyn sein - aber wollen wir ihn einladen?« fragte Lois wieder.
»Ruf ihn herauf«, war die bündige Antwort.
Mr. Mackenzie war aber doch ein viel unterhaltsamerer Gast, als Lizzy jemals erwartet hätte. Er lauschte gespannt ihrem Bericht über das Haus der Gräfin Moron und das Leben, das sich dort abspielte. Lizzy erzählte alles aus eigener Erfahrung, nur manchmal mußte Lois ihre Worte bestätigen.
»Seidene Vorhänge - wirklich?« fragte der alte Mann.
»Und Portieren aus Atlas! Überall Silberbeschläge! In den Badezimmern sind die Wände aus rotem Marmor - ist es nicht so, Lois? Und ein silbernes Gitter steht vor dem Kamin in dem Salon.«
Mr. Mackenzie seufzte.
»Es muß ein großartiges Leben sein in solcher Umgebung. Aber ich will niemand beneiden. Ist die Gräfin eine liebenswürdige Dame?«
»So würde ich sie nicht nennen«, meinte Lizzy. »Sie ist soweit ganz nett bis auf - sie ist nämlich eine schlechte Mutter, aber eine gute Aufpasserin und Spionin. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«
»Hat sie kleine Kinder?« fragte Mackenzie interessiert.
»Ihr Sohn ist nicht gerade ganz jung«, erklärte ihm Lizzy eingehend, »aber man könnte sagen, daß er in der ersten Jugend steht. Nein, er geht nicht mehr zur Schule«, antwortete sie fast beleidigt auf seine Frage. »Ein ganz wundervoller Mensch! Selwyn möchte zu gern zum Theater gehen, und ich wundere mich, daß seine Mutter es nicht zuläßt.«
»Es ist kein schönes Leben auf der Bühne, das habe ich Ihnen doch schon früher erzählt. Mein Kummer und meine Sorgen kommen nur davon, daß ich früher einmal beim Theater war.« Dann sagte er plötzlich zusammenhanglos: »Sie war ein so schönes Mädchen, und sie hatte ein Gesicht wie eine - wie eine -«
»Engel«, schlug Lizzy vor und sah ihn erwartungsvoll mit der aufgerichteten Gabel in der Hand an.
»Ich wollte sagen ›Madonna‹. Für mich ist es immer noch ein großes Wunder, daß sie mich überhaupt angesehen hat. Nehmen Sie doch einmal meine einfache Kleidung. Allerdings lebte ich damals in sehr guten Verhältnissen. Einige meiner Operetten wurden aufgeführt, und ich verfügte über beträchtliche Summen. Glücklicherweise hatte ich mein Geld in Häusern festgelegt. Das war gut, denn sie war ein wenig - extravagant. Aber vielleicht war es auch mein Fehler.«
Ein langes Schweigen trat ein. Er hing seinen Gedanken nach, hatte den Kopf auf die Brust geneigt und seinen Blick auf das Tischtuch gesenkt.
»Ach ja, es ist mein Fehler. Ich sagte es meinem guten Freund Shaddles, als er mir riet, mich scheiden zu lassen.«
Lizzy schaute ihn verwundert an.
»Shaddles ist doch mein Anwalt - so sind Sie doch überhaupt erst meine Mieter geworden. Sie besinnen sich doch sicher darauf, daß Mr. Shaddles Ihnen die Zimmer in meinem Haus empfahl?«
»Shaddles - großer Gott!« sagte Lizzy und schob ihren Teller zurück. »Wenn ich das gewußt hätte, würde ich wahrscheinlich niemals hier in meinem Bett geschlafen haben!«
»Er ist ein guter Mensch und ein treuer Freund«, sagte Mr. Mackenzie.
»Aber auch ein böser, alter Geizhals.« Lizzy übersah die warnenden Blicke Lois'.
»Er ist ein bißchen sparsam«, gab Mr. Mackenzie zu. »Aber das scheint der Beruf mit sich zu bringen. Ich kenne mehrere Anwälte, die diese Eigenschaften haben. Sein Vater war ebenso.«
»Was, Sie kannten auch seinen Vater?« fragte Lizzy. »Hat er denn jemals einen Vater gehabt?«
»Sein Vater und sein Großvater waren auch sparsam. Aber die Shaddles' sind tüchtige Rechtsanwälte und haben große Vermögen verwaltet. Seit Hunderten von Jahren sind sie die Anwälte der Familie Moron.«
»Kennen Sie die Familie Moron?« fragte Lois.
Er zögerte.
»Ich will nicht behaupten, daß ich sie kenne, aber ich weiß einiges von ihr. Den alten Earl von Moron, den Vater des jetzigen Lord Moron, habe ich einmal gesehen - er lebte lange Jahre im Ausland. Ich will nicht gerade sagen, daß er einen schlechten Charakter hatte, aber er führte ein vergnügtes Leben. Er war ein Lebemann, von dem so manche Skandalgeschichte mit Recht oder Unrecht erzählt wurde. Sein Sohn Willy war ein
Weitere Kostenlose Bücher