037 - Quellen der Lust + Die Mätresse des Prinzen
unglücklich zu sehen.“
„Ich bin nicht unglücklich“, sagte Genevieve, ging zu ihrem Sekretär und schob den Brief in eine Schublade. Das stimmt, sagte sie sich. Ich fühle mich nur einsam. Jetzt hatte sie zu viel Zeit, um an Richard zu denken und den Schmerz, den es ihr bereitet hatte, nach zehn Jahren abgeschoben zu werden. Die Ankunft der Schatulle hatte alles nur noch schlimmer gemacht. „Du bist die Einzige, der ich vertrauen kann. Pass darauf auf, ich werde sie holen kommen, sobald ich kann.“
Diese kurze Botschaft hatte sie wie einen Schlag ins Gesicht empfunden, und sie war verwirrt und wütend gewesen. Warum hatte er die Schatulle nicht an die jüngere, elegante Mätresse geschickt, die ihren Platz eingenommen hatte? Noch immer sah sie das Mitleid und – schlimmer noch – den Abscheu in seinem Blick, mit denen er bei ihrer letzten Begegnung ihre kranken Hände betrachtet hatte, als er ihre Berührungen und die Versuche, ihn zu verführen, zurückgewiesen hatte. Zwei Tage danach hatte er ihre Verbindung plötzlich gelöst, ohne auch nur den Mut und den Anstand aufzubringen, ihr das ins Gesicht zu sagen. Stattdessen hatte er ihr eine kurze Nachricht geschickt, zusammen mit einer Abfindung. Als könnte Geld den Schmerz lindern – oder die Demütigung.
Selbst jetzt, ein Jahr nachdem er sie fortgeschickt hatte, konnte ein Teil von ihr noch immer nicht glauben, dass er so herzlos gewesen war. So grob. Er hatte ihr gesagt, dass er sie liebte. Und sie hatte ihn geliebt – vielleicht nicht gleich, aber bald nach ihrer ersten Begegnung. Am Anfang ihrer schließlich zehn Jahre dauernden Liaison war sie einfach nur schrecklich dankbar gewesen, einen Weg aus ihrer hoffnungslosen Lage gefunden zu haben. Sie hatte keine Mätresse werden wollen, aber in Anbetracht der Alternativen – oder deren Mangel – war ihr Richards Angebot wie ein Wunder erschienen.
Als sie sich einverstanden erklärt hatte, seine Mätresse zu werden, hatte sie nur gewusst, dass er reich war, gut aussehend, und dass er sie begehrte – so sehr, dass er sie vor dem Albtraum bewahrte, zu dem ihr Leben geworden war – und das hatte genügt. Sehr bald schon hatte sie sehr zu ihrer Erleichterung festgestellt, dass er außerdem freundlich war. Großzügig. Klug. Ein fortschrittlicher Denker, der sich um die Belange und das Leiden jener sorgte, die weniger glücklich waren als er und der hoffte, die Gesetze zugunsten der Armen zu ändern. Sie hatte sich in sein Wesen verliebt, in seinen Geist, seine Güte. Aber die Kälte, mit der er sie aufgegeben hatte, hatte ihr eine Seite seines Charakters gezeigt, von der sie nicht einmal wusste, dass es sie gab, eine, die ihr das Gefühl verlieh, eine Närrin zu sein. Sie hatte sich hässlich und schmutzig gefühlt, und an dem Tag, an dem er sie fortgeschickt hatte, hatte sie gelobt, nie wieder die Mätresse eines Mannes zu werden. Nie wieder sollte ein anderer Mann sie besitzen, vor allem kein verdammter Adliger, einer, der über genügend Reichtum und Macht verfügte, um sie innerhalb weniger Tage durch eine neue Gespielin zu ersetzen. Wahrhaftig, wenn ein anderer Aristokrat sie auch nur mit einem Funken von Interesse ansah, dann würde sie Baxter auf ihn hetzen.
Nun, sie würde Richards Schatulle aufbewahren, bis er sie holen kam, obwohl sie jede Wette eingegangen wäre, dass er einen anderen schicken würde. In diesem Fall würde sie den Brief behalten, den sie in der Schatulle gefunden hatte. Sie hatte die Nachricht gelesen, vermochte aber nicht zu erkennen, warum eine solche nichtssagende Botschaft so wichtig sein sollte. Vielleicht war es eine Art Code, aber sie konnte ihn nicht entziffern, und es war ihr auch egal. Wenn Richard den Brief haben wollte, dann musste er ihn selbst abholen, und sie war davon überzeugt, dass er ihn wollte. Sie würde ihn einfach zwingen, das zu tun, was er von Anfang an hätte tun sollen – ihr gegenüberzutreten. Schließlich hatte sie ihm zehn Jahre lang Vergnügen bereitet, hatte ihr Leben mit ihm geteilt und sich dummerweise in ihn verliebt. So viel zumindest schuldete er ihr.
Sie konnte nicht leugnen, dass ein kleiner Teil von ihr hoffte, er würde bereuen, was er getan hatte, und wünschen, dass sie zurückkam. Aber es war egal, ob er das wollte. Dieser Abschnitt ihres Lebens war vorüber. Während sie sich nie wieder erlauben würde, so verletzlich zu sein, so war sie doch dankbar, dass die Jahre, in denen Richard sie finanziell unterstützt hatte, es
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