0374 - Der Vogeldämon
zu entkommen. Er mußte sie für eine spleenige, überaus verwöhnte Amerikanerin halten, die davon ausging, daß der liebe Gott die Welt nur für sie ganz allein erschaffen hatte, und jede Unstimmigkeit war eine persönliche Gemeinheit dieser Welt…
Als er mit einer Sonnenbrille und einer Baseballmütze zurückkehrte und beides auch noch paßte, überschüttete Nicole ihn mit einer Flut von Dankesworten. »Wenn wir wieder im Hafen sind, gebe ich Ihnen die Sachen auch ganz bestimmt zurück«, flötete sie und schwebte mit wiegenden Hüften aufwärts in Richtung Sonnendeck. Mochte der junge Bursche denken, was er wollte…
Die Tarnung mußte reichen. Außerdem näherte Nicole sich den anderen nicht so weit, daß sie eine Gelegenheit hatten, sich an ihre Gesichtszüge unterhalb der Sonnenbrille zu erinnern.
Sie beobachtete aus der Ferne, um notfalls eingreifen zu können, und setzte sich so, daß sie die Unterhaltungen zwischen Nadine, Pascal, Linda und Sandy belauschen konnte, ohne daß diesen das auffiel. Cal Garey schien sich abgesondert zu haben.
Pascal spielte den schweigenden Zuhörer, während sich Sandy und Nadine mit Linda unterhielten. Sie sprachen über die Beeinflussung und versuchten Linda aufzumuntern.
Nicole nagte an der Unterlippe. Was war, wenn Linda auch jetzt noch unter dem Einfluß des Vogels stand? Wie konnte man es feststellen?
Abwarten! Wenn sie beeinflußt war, würde bald etwas geschehen!
***
Der Dämon, dessen Wohnsitz der widerentstandene hölzerne Vogelkörper war, entschloß sich in diesen Augenblicken zum Handeln. Er hatte Kraft verloren. Kraft, die er unbedingt brauchte, die ihm der Zauberer erst in den beiden vergangenen Nächten zugeführt hatte. Kraft, durch die er selbst weiterexistieren konnte - und die er in etwas umwandelte, was er dem Zauberer gab, der ihm in all den Jahrhunderten immer treu gedient hatte…
Auch jetzt hatte der Zauberer sich treu für ihn eingesetzt. Im Gegenzug wollte der Vogeldämon ihn nicht im Stich lassen. Vor allem nicht, nachdem er ihm die Energie wieder entreißen mußte, welche er ihm in den beiden vorhergehenden Nächten im Austausch gab. Er hatte diese Kraft zurückfordern müssen, um seinen Körper zu regenerieren, um das Holz wieder zurückzuformen aus Asche und Energie.
Damit hatte er den Zauberer fast getötet. Aber solange noch ein Funken Leben in ihm war, konnte er dienen. Und das mußte er jetzt. Die verlorene Kraft mußte erneuert werden, so schnell wie möglich. Der Dämon konnte keine Rücksicht darauf nehmen, daß es heller Tag war.
Die Zeremonie konnte nicht stattfinden, in der eine langsame Gestaltwandlung des Zauberers stattfand, unterstützt von beschwörenden Gesängen und Ritualtanz. Dies war ein Notfall wie jener vorhin auf der Lichtung, als der Zauberer über sich hinaus wuchs und die Verwandlung von sich aus im schnellen Verfahren auslöste.
Der Vogel gab den Befehl.
***
Zamorra erreichte die Fernstraße. Er fuhr die Böschung in Fallinie an. Der Geländewagen rollte knatternd und donnernd hinauf. Und dann blieb er doch noch hängen. Durch die pausenlosen Fehlzündungen besaß der Motor bei weitem nicht die Kraft, die er eigentlich brauchte. Zamorra hatte nicht daran gedacht und den falschen Gang gewählt. So packte die Maschine die kleine Steigungsstrecke nicht.
Zamorra ließ den Wagen wieder zurück rollen und nahm erneut Anlauf, diesmal im kleineren Gang. Wieder lenkte er den Isuzu auf die Böschung zu.
Das war der Moment, in dem neben ihm der greisenhafte Zauberer erwachte. Der Namenlose öffnete die Augen und war von einem Moment zum anderen voll da.
Zamorra war durch die Konzentration auf den Dhyarra-Kristall, der den Motor in Gang hielt, abgelenkt. Außerdem nahm das Fahren ihn noch in Anspruch. So reagierte er viel zu spät.
Der Zauberer holte aus und schlug zu. Obgleich er klapperdürr war, verfügte er noch über ungeahnte Kräfte. Der Hieb traf Zamorra ohne Warnung und raubte ihm für einige Sekunden das Bewußtsein. Der Wagen blieb stehen. Der Zauberer stieß die Tür auf und ließ sich nach draußen fallen. Im Fallen bereits verwandelte er sich und nahm die Gestalt eines Vogels an. Dann stieß er sich vom Boden ab und schwang sich in die Luft empor.
Zamorra kämpfte gegen Schmerz und Benommenheit an. Der Zauberer hatte genau gewußt, wohin er schlagen mußte! Der Parapsychologe kletterte taumelnd aus dem Wagen. Er sah hinter dem Vogel her. Es dauerte ewigkeitslange Sekunden, bis er begriff, daß er
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