0376 - Der Turm des Ungeheuers
weiten Sprüngen die Treppe abwärts…
***
Manche Dinge sprechen sich schnell herum, manche wiederum langsam. Stephan Möbius erfuhr von der kurzen Landung eines Hubschraubers, als er gerade sein frisch gezapftes Bier auf die Tresenplatte gestellt bekam. Da unterhielten sich in seiner Nähe an einem der angrenzenden Tische zwei Leute nicht gerade leise über das unerhörte Ereignis, das ein wenig Abwechslung in den Schiffsalltag brachte. Ein Hubschrauber hatte einen Mann und eine Frau aufs Schiff gebracht und war anschließend wieder verschwunden. Wer konnte denn so närrisch sein, sich zwei Tage vor Ende der Reise noch an Bord bringen zu lassen? Jemand, der seinen Urlaub auf den Bermudas beendet hatte und jetzt per Schiff zurückkehren wollte? Aber es gab doch genug Schiffslinien, die die Inseln direkt ansteuerten! Und außerdem - wer sich schon die Mühe machte, zum Schiff zu fliegen, der konnte auch statt mit einem unbequemen Hubschrauber mit einem schnellen Charter-Jet direkt zum Kontinent fliegen…
Stephan Möbius schaltete seine Ohren wieder auf Durchzug und dachte sich nichts weiter dabei. Er kannte genug Leute, die viel Geld hatten, und sich solche Verrücktheiten leisteten. Er hatte auch Geld, aber verrückt spielte er deswegen noch lange nicht. Dafür war ihm das Geld viel zu schade. Da steckte er die Überschüsse lieber karitativen Einrichtungen zu.
Möbius trank sein sauber gezpaftes Bier. Er ließ es nicht lange stehen, damit es nicht ausschalte, fand, daß er einen kleinen Spaziergang bis zur nächsten Bar machen könnte in der Hoffnung, daß ihm die Silberhaarige durch Zufall doch noch über den Weg lief, und setzte sich in Marsch.
Er hatte erfahren, daß seine Firma Beteiligungen an der Reederei hatte, aber er hatte auch keine Lust, diese Beziehung zu aktivieren und damit eine Auskunft zu erpressen. So wichtig war ihm die Sache nun auch wieder nicht.
Er war ahnungslos, als er die Treppe erreichte.
Er kam von der Seite.
Die junge Frau, die in fliegender Hast herunterstürmte, kam von oben, bog in seine Richtung ab und lief ihm förmlich in die Arme. Er sah silbernes Haar, erkannte seine Chance und packte zu. Er hielt die Frau einfach fest.
»Hallo«, stieß er hervor. »Sie…«
Seine geplante lustige Bemerkung wurde übertönt von ihrem Aufschrei. Im nächsten Moment erhielt er einen Handkantenschlag, der ihn zwang, seinen Griff zu lösen. Er taumelte zurück, sah Augen, die schockgrün aufgrellten, und dann sah er überhaupt nichts mehr.
Er hörte nur rasend schnelle Schritte!
Lieber Himmel, bin ich blind geworden? fragte er sich entsetzt. Er sah nichts mehr! Um ihn herum war grenzenlose Schwärze! Aber wie hatte es die silberhaarige Frau geschafft, ihn so zu blenden? Er hatte doch überhaupt nichts gespürt, auch kein Zischen gehört, das von einem blendenden Kampfgas kommen konnte!
Da waren noch andere Schritte. Sie kamen von oben, kaum weniger hastig. Jemand packte ihn, der mit den Händen versuchte, die Augen zu reiben und dazu zu bewegen, wieder ihre Tätigkeit aufzunehmen.
»Stephan, was ist passiert? Stephan…?«
Das war doch Zamorras Stimme?
Wie kam der denn hierher?
Im gleichen Moment begriff Möbius, daß das kein Zufall mehr war. Wenn Zamorra hier war, dann mußte er der Hubschrauber-Typ sein - und dann war die Silberhaarige tatsächlich Sara Moon.
»Hinterher!« keuchte er. »Da… da läuft sie! Schnapp sie dir…«
Zamorra spurtete schon wieder weiter, weil er annehmen mußte, daß mit Möbius alles in Ordnung war, wenn der ihm sogar die Richtung zeigen konnte. Aber es gab nui? die eine Richtung.
Möbius dagegen begriff langsam, daß er seine Augen durch ständiges Reiben nicht mehr anregen konnte. Sie begannen nur zu schmerzen und zu tränen, mehr geschah aber nicht. Er war blind geworden.
Durch Sara Moon!
Jetzt wurde ihm auch das klar. Sie hatte sich mit Magie gewehrt, mit ihrer verdammten Druiden-Magie! Damit hatte sie ihm blitzschnell das Augenlicht geraubt.
Der Schock packte ihn.
An Zamorra dachte er nicht mehr, aber daran, daß er vielleicht nie wieder würde sehen können. Gab es etwas Schlimmeres, als das Augenlicht zu verlieren und den Rest des Lebens in immerwährender Dunkelheit zu verbringen?
Ein Mensch, der mehr als sieben Jahrzehnte lang sehend gewesen war, der vor Gesundheit strotzte und alle Schönheiten des Lebens und der Welt genoß, konnte von einem Moment zum anderen nicht mehr sehen, ohne jede Vorbereitung.
Das verkraftete er
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