038 - Verbotene Sehnsucht
noch zu fehlen.
Samuel saß ihr gegenüber, ein Glas Brandy in der Hand, und blickte ins Feuer. „Ich bin mir ziemlich sicher." Sein Gesicht sah wirklich schlimm aus. Die alten Verletzungen waren noch kaum geheilt, als auch schon neue Blutergüsse dazugekommen waren. Aber sie mochte dennoch nicht den Blick von ihm wenden.
„Aber ganz sicher bist du dir nicht?", fragte sie verwirrt.
Er schüttelte entschieden den Kopf und leerte sein Glas. „Thornton ist ein Lügner.
Schwer zu sagen, ob er etwas mit dem Massaker zu tun hatte oder nicht. Vielleicht weiß er es ja selbst nicht mehr so genau - Lügner neigen dazu, ihre eigenen Lügen zu glauben. Vielleicht werden wir nie absolute Gewissheit haben."
„Aber ...", Rebecca unterdrückte ein Gähnen, „... du bist um die halbe Welt gereist, um die Wahrheit über Spinner's Falls herauszufinden und mit der Vergangenheit abzuschließen. Stört es dich denn nicht, dass die Sache noch immer nicht geklärt ist, sollte Thornton nicht der Verräter sein?"
„Nein. Jetzt nicht mehr."
„Aber ... das verstehe ich nicht."
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass ich Spinner's Falls sowieso niemals ganz vergessen kann. Das ist einfach unmöglich."
„Aber das ist ja furchtbar! Wie ..."
Er hob beschwichtigend die Hand. „Allerdings habe ich auch erkannt, dass ich mit der Erinnerung leben kann. Sie ist ein Teil von mir."
Besorgt sah sie ihn an. „Das klingt wirklich schrecklich, Samuel. Dein ganzes Leben lang diese Erinnerungen mit dir herumzutragen ..."
„So schlimm ist es nicht", beruhigte er sie. „Immerhin habe ich schon sechs Jahre damit zugebracht, gegen meine Erinnerungen anzukämpfen. Jetzt, wo ich mich mit ihnen abgefunden und sie als Teil meiner selbst akzeptiert habe, kann es eigentlich nur besser werden."
Sie seufzte. „Verstehen tue ich es zwar nicht, aber wenn du deinen Frieden gefunden hast, soll es mir recht sein."
„Das habe ich."
Eine Weile saßen sie in einvernehmlichem Schweigen da, und Rebecca begann gerade einzunicken, als ein laut knackendes Holzscheit sie aufschrecken ließ und ihr einfiel, dass sie ja noch etwas mit ihrem Bruder hatte besprechen wollen.
„Sie liebt dich übrigens."
Weil er nichts erwiderte, schlug sie die Augen auf, um sich zu vergewissern, dass er nicht eingeschlafen war. Er hielt die Hände im Schoß verschränkt und starrte stumm ins Feuer.
„Ich habe gesagt, dass sie dich liebt."
„Ich habe es gehört."
„Ja, und?" Sie seufzte gereizt. „Mehr fällt dir dazu nicht ein? Morgen geht unser Schiff."
„Ich weiß." Er stand auf und streckte sich, zuckte vor Schmerz zusammen und hielt sich kurz die Seite. Dann reichte er ihr die Hand. „Komm, du schläfst ja schon in deinem Sessel ein, und ich habe keine Lust, dich nachher wie ein kleines Mädchen ins Bett zu tragen."
Sie legte ihre Hand in seine. „Ich bin kein kleines Mädchen."
„Das weiß ich", sagte er sanft und zog sie hoch. „Du bist meine kleine Schwester, die endlich zu einer schönen und interessanten jungen Dame herangewachsen ist."
„Hmmm", grummelte sie und krauste die Nase.
Er zögerte kurz, dann griff er auch nach ihrer anderen Hand und strich mit dem Daumen über ihre Finger. „Wenn du willst, bringe ich dich bald wieder nach England, damit du Mr. Green oder einen der anderen Gentlemen wiedersehen kannst. Ich möchte dir deine Hoffnungen nicht zunichtemachen."
„Ich habe ehrlich gesagt keine Hoffnungen."
Er runzelte die Stirn. „Falls du dir Sorgen wegen deiner Herkunft machen solltest, dann ..."
„Nein, das ist es nicht." Sie blickte auf ihrer beider Hände hinab. Die seinen waren noch immer dunkel und gebräunt, obwohl sie beide schon seit Wochen in England waren.
„Was ist es dann?"
„Ich mag Mr. Green durchaus ...", begann sie vorsichtig, „... und wenn du möchtest, dass ich meine Bekanntschaft mit ihm vertiefe ..."
Er zog sie an den Händen, bis sie zu ihm aufsah. „Warum sollte ich das wollen?", fragte er.
„Ich dachte ..." Oh, wie furchtbar peinlich das alles war! „Ich dachte, du wolltest, dass ich eine gute Partie mache. Und Mr. Green ist ein Engländer von Stand, ein richtiger Gentleman eben, selbst wenn sein Lachen schrecklich anzuhören ist. Ich weiß manchmal wirklich nicht, was du willst, Samuel."
„Ich will eigentlich nur, dass du glücklich bist", sagte er, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. „Solltest du dein Herz an einen Rattenfänger oder
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