0388 - Der Dämonensarg
schauten mir zu, wie ich ihnen, nachdem ich einen letzten Blick auf den weißen Kopf geworfen hatte, ihn auf das Unterteil des Schreins legte und ihn festdrückte. Ich tat es mit bedächtigen Bewegungen und hatte nicht einmal ein schlechtes Gefühl dabei, sondern ein gutes Gewissen, genau das Richtige zu tun, denn der Seher hatte es bisher immer gut mit mir gemeint.
Nachdem ich mit meiner Arbeit zufrieden war, richtete ich mich auf, deutete abermals auf den Schrein und sagte: »Nehmt ihn mit. Faßt ihn, zerstört ihn, tut, was ihr wollt. Ich will ihn nicht mehr haben. Er gehört wieder euch.«
Ich konnte mich nicht erinnern, jemals sprachlose Dämonen erlebt zu haben. Diese hier waren es. Sie brachten kein Wort hervor, zu sehr hielt sie die Überraschung in den Klauen. Obwohl ihre Gesichter von den schwarzen Wolken umrahmt wurden, sah ich dennoch die Überraschung auf ihnen. Ich ging so weit zurück, bis ich sogar den Schacht passierte, in dem der Schrein gestanden hatte.
»Nehmt ihn!«
Erst jetzt merkten die beiden Dämonen, daß ich es tatsächlich ernst meinte. Sie bewegten sich.
Die Wolken bildeten Kreisel, die sich zusammenzogen, zu Spiralen wurden und die beiden Gesichter völlig verdeckten. Gleichzeitig plusterten sie sich auf, verwandelten sich in schwarze Bälle und schwebten über dem geschlossenen Schrein.
Ich war gespannt, wie sie ihn fortschaffen würden, und sah in den folgenden Sekunden ihre Verwandlung.
Aus den beiden Wolken stachen lange Arme hervor.
Sie wirkten wie knorrige Äste, auf denen das dunkle Haar sehr dicht wuchs und schon fast ein Fell bildete. Die Arme endeten in schwarz glänzenden Pranken und langen, gekrümmten Fingern und breiten, aber dennoch scharfen und spitzen Nägeln.
Mir taten sie nichts. Ich interessierte sie nicht mehr, sie schwebten über dem Schrein, packten zu und hoben ihn an. Gleichzeitig vereinten sich die beiden Wolken zu einer einzigen, so daß beide Wesen jetzt zusammenliefen und keiner gegen den anderen arbeitete.
Ich hatte den Deckel wieder so fest wie möglich auf den Schrein gedrückt. Er stand etwas vor, damit die beiden Dämonendiener ihre tierartigen Finger darum krallen konnten. So bekamen sie den Halt, den sie brauchten, um den Schrein in die Hohe zu hieven.
Das taten sie auch.
Es war ein außergewöhnliches Bild, als die mit Armen versehene Wolke allmählich in die Höhe stieg und schon Sekunden späterübermannshoch über den Felsen schwebte.
Ich fühlte so etwas wie Wehmut in mir aufsteigen. Sehr nahe war ich daran gewesen, ein Rätsel zu lösen, dessen Tragweite ich noch gar nicht erfaßte. Ich hatte es nicht getan. Ich hatte auf den Seher gehört, und vielleicht war es richtig gewesen.
Bestimmt sogar.
»Und das läßt du zu, John?« hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir, drehte mich um und schaute in das verständnislose Gesicht meines Freundes Suko…
***
Er stand da, hielt die Dämonenpeitsche fest, sah ratlos aus und schüttelte den Kopf. Ich an seiner Stelle hätte ebenso gehandelt. Wie sollte er auch begreifen können, was ich alles erfahren hatte?
Ich nickte sehr langsam. »Ja, Suko, das lasse ich zu. Ich mußte es zulassen. Es war besser so.«
Er holte tief Atem. »Ich verstehe dich nicht, John. Du hattest die einmalige Chance, das an dich zu nehmen, wonach andere so gesucht und geforscht haben. Es lag zum Greifen nahe vor dir. Und da gehst du hin und läßt es einfach so…«
Meine Handbewegung hatte ihn unterbrechen. »Suko, es ist mir schwergefallen, aber es gab einen Grund, weshalb ich es nicht getan habe.«
»Und welchen?«
»Der Seher riet mir, den Schrein anderen zu überlassen!«
Mein Freund trat einen Schritt zurück. Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet. »Der Seher?«
»Ja, er!«
Suko nickte. »Ich verstehe«, sagte er leise, »obwohl ich im Prinzip nichts begreife, aber du wirst schon recht haben, wenn du so redest. Es ist deine Entscheidung gewesen, John.«
»Wobei ich hoffe, das Richtige getan zu haben.«
»Würde dich der Seher hereinlegen?«
»Nie, glaube ich.«
»Das meine ich ebenfalls«, gab mein Freund zu. »Dann kann ich dich verstehen.«
Unsere Unterhaltung hatte Zeit gekostet. In der Zwischenzeit war es den beiden Dämonendienern gelungen, den Schrein weiter zu entführen. Mit ihm hineinzustoßen in die allmählich dichter werdenden Abendwolken und fast in ihnen unterzutauchen.
Wir schauten ihnen nach. Ich überlegte dabei, ob ich so etwas wie Bedauern darüber spürte. Nicht
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